Wenn einer keine Reise tut...

■ ...dann kann er sich entweder auf die Seite der Bremer schlagen, die sich am 17.6.1233 zum Kreuzzeug ins Umland rüsteten, oder auf die Seite der Stedinger, die nicht so fromm waren, wie es sich der Papst nunmal wünschte

Der 17.6. 1233 war für die Bremer kein Tag der deutschen Einheit. Ganz im Gegenteil. Da bereiteten sie sich auf einen Krieg gegen ihre unmittelbaren Nachbarn, die Bauern von Stedingen vor. Überall auf den Kanzeln wurde es verkündet, in den Wirtshäusern war es das Stadtgespräch: Papst Gregor in Rom hatte ein offizielles Sendschreiben des Vatikan ausgegeben, daß jeden zum Krieg gegen die aufrührerischen Bauern in Stedingen rief. Wer sich zum Kreuzzug gegen die Stedinger rüste, der werde den gleichen Ablaß für seine Sün

den erhalten wie der, der mit den Kreuzzügen gegen die Türkei aufgebrochen war.

Auf Gregors päpstliche Verdammung hatten der Erzbischof von Bremen und der Bremer Rat nur gewartet. Sie bildete den Startschuß einer Mobilisierungskampagne: jetzt wollten die Bremer endlich kurzen Prozeß machen und die Stedinger, die ihnen schon so lange Ärger gemacht hatten, in die Knie zwingen.

Die Stedinger lebten in der Gegend um Berne, sie waren vor langer Zeit aus Holland gekommen, weil es ihnen in ihrer Heimat zu

eng geworden war. An der Weser konnte man noch Land erwerben, brauchte keines Fürsten Lehnsmann zu werden - nur Abgaben mußte man zahlen, an den Erzbischof von Bremen, aber die hielt sich in Grenzen. Die Stedinger bildeten eine kleine, freie Bauernrepublik, und ob sie nun haidnische Bräuche pflegten oder einfach nur nicht so fromm waren, wie es die Kirche gern gehabt hätte - sie waren auf jeden Fall hell empört, als der Bremer Erzbischof Gerhard ihre Abgaben drastisch erhöhte, weil in seiner Kirchenkasse ein riesengroßes Loch klaffte. Schnell organisierten die Bauern eine Heimwehr, die man sich wie eine Guerillatruppe mit einfachen, primitiven Waffen vorstellen muß. Dann fielen sie mitten in der Nacht über eine Burg des Erzbischofs her, plünderten sie, brandschatzten - und waren am nächsten Tag nicht mehr gesehen. Ein unberechenbarer Gegner: ein ungehorsames, freies Volk, das sich, so sah es der Bischof, der rechtmäßigen Gewalt nicht fügen wollte.

Um nun aber ein großes Ritterheer, nicht nur aus Bremen und Niedersachsen, sondern ganz Deutschland, gegen die Stedinger zusammentrommeln, mußte erst einmal Propagandaarbeit gelei

stet werden. Das Feindbild mußte stimmen. Und so wurden die schauerlichsten Lügen über die Stedinger verbreitet. Ganz besonders taten sich dabei die Dominikanermönche hervor, von denen einige Leute denken, ihr Name heiße wörtlich „domini canes“, die Hunde Gottes. Diesem Namen machten sie jetzt alle Ehre. Sie hetzten, wo sie nur konnten, gegen den gottlosen Feind aus der Wesermarsch.

„Die Stedinger sind vom Teufel besessen. In der Nacht kommen sie bei Kerzenschein in ihren Kellern zusammen, und dann warten sie auf den Leibhaftigen. Er kommt in Gestalt eines Katers, und sie müssen ihn anbeten und ihm den Hintern küssen. Nachher pusten sie die Lichter aus, und wer weiß, was sie dann treiben. Die Priester und die Mönche, die sie bekehren wollen, zerreißen sie in Stücke und nageln sie in Kreuzesform an die Wand. Am schlimmsten ist ihr Ungehorsam gegenüber dem Erzbischof!

So hetzten die Mönche - und selbst das uns ja bekannte Bild von der Operation eines Krebsherdes fehlte in ihrer Propaganda nicht: Man müsse das faule Fleisch, die Stedinger, herausschneiden, damit nicht der ganze Körper Schaden nehme. Man kann sich leicht

vorstellen, wie erfolgreich der Erzbischof und seine Propagandakampagnie waren. Gerade der städtischen Bevölkerung konnte leicht eingeredet werden, daß da draußen vor der Stadt die Barbaren hausten. Und so kam es nach kleineren Scharmützeln 1234 zu einer großen Schlacht bei Altenesch. Das Bauernheer der Stedinger stand einem weit überlegenen Ritterheer gegenüber und wurde vernichtend geschlagen. 500 Stedinger lagen am Ende der Schlacht tot da, Die Bremer aber ließen die Glocken läuten, und Erzbischof Gerhard verfügte, daß von nun an jeden Sonnabend vor Himmelfahrt eine Dankmesse in allen Kirchen der Stadt zu lesen sei, ein Brauch, der sich in Bremen bis ins 16. Jahrhundert erhielt. Heute findet man kurz vor Altenesch, schräg gegenüber der Klöcknerhütte auf der anderen Weserseite, einen Gedenkstein, der an die Schlacht von Altenesch erinnert. „Am 27. Mai 1234 unterlag den mächtigen Feinden das tapfere Volk“, steht darauf, und dann sind noch die Namen der Anführer der Stedinger verzeichnet: „Bolko von Bardenfleth, Thammo von Huntorp, Detmar tom Dieke fielen als Führer mit ihren Brüdern.“

Bernhard Gleim