Wenn einer keine Reise tut...

...und den Worpsweder Maler Heinrich Vogeler kennt - wer kennt ihn nicht -, kann er hier einen folgenlos-folgenreichen Brief lesen, den der Maler an Kaiser Wilhelm von Preußen geschrieben hat  ■  Von Bernhard Gleim

Gegen Ende des Jahres 1917 erhält der Unteroffizier beim Oldenburger Dragonerregiment, der Kunstmaler Heinrich Vogeler, einen Auftrag. Vogeler, der sich mit den Truppen an der Front befindet, soll ein Plakat zeichnen, das für die Kriegsanleihe wirbt. Die Bürger sollen mehr Geld geben, damit der Erste Weltkrieg, der nun ins vierte Jahr geht, weitergeführt werden kann, und damit - selbstverständlich die Deutschen siegen. Der Maler setzt sich in einer Amtsstube der Miltärverwaltung an den Zeichentisch, aber der rechte Enthusiasmus für seinen Auftrag will sich nicht einstellen.

Ja, damals, 1914, als er als Freiwilliger in den Krieg gezogen war, mit immerhin schon 42 Jahren, da war er von der Gerechtigkeit der deutschen Sache fest überzeugt. Aber nun, nachdem er den Krieg kennengelernt hat, nachdem er gesehen hat, daß auch im Krieg die Großen raffen und die Kleinen schaffen, ist er desillusioniert, und der Plakatentwurf, zu dem er sich schließlich durchringt, zeigt diese Desillusionierung deutlich.

„Zeichnet Kriegsanleihe“, steht zwar in großen Lettern auf dem Plakat, auf dem Bild aber sieht man eine Bäuerin, die mit dem Spaten auf dem Acker steht, und daneben ist geschrieben. „Die Heimat ruft.“ Vogelers Pla

kat ist eine indirekte Aufforderung an die Soldaten, nach Hause in die vernachlässigte Heimat zu zurückzukehren.

Verständlich, daß Vogelers Vorgesetzte dies Dokument nicht gerade goutieren. Da sie aber seine künstlerischen Fähigkeiten schätzen, schicken sie ihn auf Heimaturlaub nach Worpswede. Dort soll er seine offenkundig strapazierten Nerven beruhigen und in der Abgeschiedenheit einen neuen, besseren Entwurf herstellen.

Vogeler reist nach Worpswede. Aber genau das Gegenteil tritt ein: Zurück in der Heimat, werden ihm seine Kriegserlebnisse erst richtig bewußt. Und durch die politischen Ereignisse am Anfang des Jahres 1918 um den separaten Friedensschluß mit Rußland wird ihm ganz klar, daß das deutsche Reich keinen gerechten Frieden will, sondern nur einen Frieden, bei dem es sich möglichst viel erobertes Land eingliedern kann. 'Das ist ja alles Schwindel, was du damals geglaubt hast‘, durchfährt es Vogeler. Er befindet sich in der Situation eines Menschen, dem auf einmal klar wird, daß er viel zu lange an einer Lebenslüge festgehalten hat.

Um seiner Erregung irgendeinen Ausdruck zu verschaffen, setzt er sich hin und schreibt einen Brief, direkt an den Allerhöchsten Kriegsherren, Seine

Majestät Kaiser Wilhelm den Zweiten von Preußen. Er will ihn von Angesicht zu Angesicht auffordern, den Krieg endlich zu beenden. Das mag naiv erscheinen, und naiv ist auch der Ton, in dem der Brief gehalten ist. Er ist nämlich eigentlich ein Märchen. Darin läßt Vogeler den Lieben Gott persönlich auftreten. Er verteilt Flugblätter am Potsdamer Platz in Berlin, auf denen nichts weiter abgedruckt ist als die Zehn Gebote und der Satz „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Der Liebe Gott als Friedensdemonstrant. Das geht nicht lange gut: Der Liebe Gott wird verhaftet und standrechtlich erschossen.

Vogeler, der auf den Widerspruch zwischen christlichem Liebesgebot und der Kriegspolitik des Deutschen Reiches hinweisen wollte, läßt am Ende des Briefes Gott direkt zum Kaiser sprechen: Du bist Sklave des Scheins, werde Herr des Lichts, indem du der Wahrheit dienst und die Lüge erkennst! Sei Friedensfürst, setz‘ an die Stelle des Wortes die Tat. Demut an die Stelle der Siegeseitelkeit! Aufbau statt Zerstörung! In die Knie vor der Liebe Gottes, sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens, Kaiser!

Im Kaiserhauptquartier empfängt man den seltsamen Brief mit Empörung und Verwunderung. Der Generalhauptquartiermeister Ludendorff plädiert für

sofortiges Erschießen, aber da Vogeler ein prominenter deutscher Maler ist, sieht man wegen des Aufsehens davon ab. Stattdessen soll er in die Irrenanstalt. Für die kaiserlichen Militärs ist der Pazifismus eine Art Geisteskrankheit.

Obwohl seinem Protest so die Spitze abgebrochen ist, ist die Einlieferung in die Bremer Landesirrenanstalt Ellen doch ein persönlicher Glücksfall für Vogeler, denn die Ärzte bestätigen nun amtlich, daß der Brief an den Kaiser das Dokument eines Irren ist, aber sie sagen auch, daß ein Irrer auf keinen Fall wieder an die Front zurückdürfe.

Vogeler ist für seine Taten in keiner Weise verantwortlich zu machen. Er ist aber nicht gemeingefährlich, sondern in ruhiger Arbeit wird auch diese erregte Periode wieder abklingen und voraussichtlich einer mehr oder weniger starken Depression wieder Platz machen. Er wird nur in seinem Berufe im stillen Worpswede wieder genesen. Wir stellen ihm daher das Dienstunbrauchbarkeitszeugnis aus.

Nach 63 Tagen in Ellen verläßt Vogeler das Krankenhaus, wie er später schreibt: als staatlich geprüfter Geisteskranker. Aus dem unpolitischen Maler einer schönen, beschaulichen Welt ist durch das Erlebnis des Krieges ein politischer, humanitär engagierter Künstler geworden.