Tauziehen um die Turbo–Kuh

■ 50.000 Unterschriften gegen die Zulassung eines genmanipulierten Wachstumshormons / Von Thomas Scheuer

Mit einem Rinderwachstumshormon wollen Pharma–Konzerne das gentechnische Zeitalter in der Landwirtschaft einläuten. Am heutigen Dienstag, dem internationalen Milchtag, wollen Vertreter kritischer Bauern–, Tierschutz– und Verbraucherverbände Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle, derzeit Chef des EG–Agrarministerrates, in Brüssel 50.000 Unterschriften gegen die Zulassung des Rinderwachstumshormons Bovine Somatotropin (BST) hinblättern. Das von US–Pharma–Multis entwickelte BST, das die Milchlistung der Kühe trimmen soll, gilt als Einstiegsdroge der Gen–Technik in die Landwirtschaft. Von der Turbo–Kuh ist es nur ein Schritt zum lebenden Bio–Reaktor. Die Vision: Die Umwandlung der Landwirtschaft vom Lieferanten von Lebensmitteln zur Rohstoffquelle für die Industrie. Obwohl BST noch nirgends auf der Welt zugelassen ist, nahm im idyllischen Tirol bereits eine Produktionsanlage den Versuchsbetrieb auf.

Auf die Logik des Konsums setzt Mister Schneidermann, Vize– Chef des US–Chemie–Multis Monsanto, wenn er das neueste Produkt seines Hauses preist: Wer, so fragt er, wird denn weiter in einem Ford herumfahren, wenn er ihn gegen einen Lincoln–Continental eintauschen kann? Für all jene diesseits des Ozeans, denen die US–amerikanischen Luxusmodelle nicht so geläufig sind, synchronisierte Monsieur Laudoyer, ein französischer Fachkollege Schneidermanns, kürzlich den Vergleich ins Europäische: Wer stiege nicht gern von einer Ente auf einen Ferrari um? Die beiden Manager allerdings sind keine Autohändler, und das Produkt, für das sie sich derart ins Zeug legen, stammt nicht aus dem Reich der Pferdestärken: Objekt ihrer Marketingbegierde ist ganz schlicht das liebe Milchvieh. Dessen Produktivität wollen sie mit einem erstmals auf gentechnischer Basis hergestellten Hormon frisieren. Zehn bis 20 Prozent mehr Milch sollen die hormonell getunten Turbo–Kühe liefern, wenn nicht gar darüber hinaus. Bovine Somatotropin (BST) heißt die Wunderdroge, mit der die vier US–amerikanischen Konzerne Monsanto, Upjohn, Eli Lilly und Cyanamid glückliche Kühe noch glücklicher machen wollen. Somatotropin ist ein Wachstumshormon und wird vom Organismus der Kuh selbst gebildet. Die leistungssteigernde Wirkung des Stoffes ist seit einem halben Jahrhundert bekannt. Doch bisher gelang es nicht, die chemisch komplizierte Eiweißverbindung künstlich herzustellen; die Gewinnung aus Rindern war zu aufwendig. 1979 schafften es kalifornische Bio–InGENieure, in Rinderzellen das für die Steuerung des Wachstumshormons zuständige Gen zu isolieren und es in das Erbgut von sogenannten E–Coli– Bakterien einzuschleusen. Die genetisch manipulierten Bakterien produzieren nun den Stoff und ermöglichen seine Herstellung im industriellen Maßstab. Streng geheim gehalten wird von den Konzernen noch der Träger (“carrier“), also jene chemische Verbindung, in der das Hormon der Kuh alle paar Wochen gespritzt wird, die als „Depot“ dient und es dann dosiert abgibt. Für Mensch wie Tier, so die Hersteller, sei der Stoff gleichermaßen harmlos; er werde, da ja nur aus Eiweiß bestehend, im Darm rückstandslos abgebaut. Außerhalb der USA haben bisher die Firmen Monsanto und Eli Lilly die Zulassung von BST als Medikament in Frankreich und Großbritannien beantragt. Mit bundesdeutschen Behörden sind die Konzerne vorerst nur „im Gespräch“. Doch von 1985 1987 ließen die Bundesanstalt für Milchforschung und die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft bereits 78 Kühe probespritzen. Nebenwirkungen ungeklärt Gegen den Einzug des BST in die Kuhställe hat sich in den vergangenen Monaten eine breite Allianz aus Bauern–, Verbraucher–, Tier schutz– und Umweltschutzgruppen gebildet. Tierärzte halten die Nebenwirkungen des Mittels für bislang unzureichend erforscht: Streß, Stoffwechselerkrankungen, Fruchtbarkeitsstörungen und erhöhte Anfälligkeit der Hochleistungskühe für Krankheiten seien zu befürchten, was wiederum erhöhten Medikamenteneinsatz nach sich zöge. Kronzeuge der Kritiker ist der amerikanische Veterinär und Agrarwissenschaftler David Kronfeld, der, seinerzeit noch in den Diensten Monsantos, selbst an der Entwicklung des BST beteiligt war. Untersuchungen über die Auswirkungen des Hormons auf das Immunsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit der Kühe, so Kronfeld, würden in den USA bewußt unterlassen, um die Zulassung des Mittels nicht zu gefährden. Wichtige Daten und Studien würden von den Konzernen unter Verschluß gehalten. Kronfelds Hauptkritik richtet sich gegen die enge Verquickung und Datenabhängigkeit der staatlichen Stellen von den Forschungsabteilungen der Konzerne. Seine Forderungen decken sich mit denen einer Petition einer Verbraucherschutzorganisation an das US–Landwirtschaftsministerium: Vor einer Zulassung müßten die dortige Drogenbehörde und das Landwirtschaftsministerium selbst Mittel für industrie–unabhängige BST–Forschung bereitstellen. Kritik kommt auch aus den Reihen oppositioneller wie traditioneller Bauernverbände. Da das BST, offiziell als Arzneimittel angepriesen, kerngesunden Tieren gespritzt werden soll, sieht der grüne Agrarexperte und Ex–Abgeordnete im Europa–Parlament Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf sein bäuerliches Weltbild auf den Kopf gestellt: Der gesunde Normalzustand werde da zur Krankheit erklärt, die behandelt werden muß. Der Hormoneinsatz beschleunige den ohnehin rasanten Strukturwandel in der Landwirtschaft: kleine und mittlere Betriebe werden von den agro–industriellen Lebensmittelfabriken verdrängt. Der BST–Einsatz soll ja nicht die durch Quoten limitierte Gesamtmenge der produzierten Milch steigern, sondern die Produktivität der einzelnen Kuh trimmen. Die gleiche Menge Milch soll also von weniger Kühen geliefert, die Betriebskosten sollen so gesenkt werden. Die Rationalisierung habe, so die BST–Kritiker, für fabrikähnliche Großviehbetriebe einen Sinn, nicht aber für bäuerliche Familienbetriebe. Denn wenn die statt 15 nur 13 Kühe auf der Weide stehen haben, senkt das ihre Betriebskosten kaum. Dazu kommen noch unbekannte Größen wie zusätzlicher Kraftfutterbedarf und Medikamente. Nach der Rechnung des Kieler Professors für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Dr. Langbehn, könne ein optimaler BST– Einsatz die Produktionskosten für einen Liter Milch um bis zu zehn Pfennige senken; vorausgesetzt, die freiwerdende Arbeitskraft des Bauern sowie die brachliegende Weidefläche würden anderweitig optimal genutzt. Die Kosten für die regelmäßigen Hormonspritzen, so räumt der Agrarökonom auf Nachfrage ein, hat er in seiner Kosten–Nutzen–Rechnung noch nicht berücksichtig: Wieviel aber die Ampullen dereinst kosten werden, ist noch gar nicht bekannt. Verbot oder Zulassung? Die BST–Lobby steht vor einer schwierigen Aufgabe: Eben erst, zum Jahresbeginn, hat die EG die Sexualhormone aus der Tiermast verbannt, da probieren es die Pharma–Multis - so stellt sich das dem Verbraucher dar - schon wieder auf einer anderen Schiene. Selbst Minister Kiechle forderte bereits, auch das neue Hormon solle unter die EG–Richtlinie über das Verbot chemisch hergestellter „steroider“ Hormone in der Tierzucht fallen, obwohl es sich beim BST um ein Peptid–Hormon, also um eine reine Eiweißverbindung, handelt. Um des freundlicheren Klangs willen wurde erstmal das Wort Hormon getilgt. Was früher Bovine Growth–Hormon (BGH) hieß, wird jetzt vornehm Bovine Somatotropin genannt. Die öffentliche Akzeptanz für die neue Hormongeneration zu fördern, ist Aufgabe eines vor wenigen Monaten in Brüssel gegründeten Lobby– Verbandes mit dem wohlklingenden Titel „Europäische Föderation für Tiergesundheit“ (Fedesa). In ihm sind alle einschlägigen Pharma– und Agro–Multis der westlichen Welt zusammengeschlossen. Chef ist Horst Mück von der Bayer AG. Die Argumentation der Betreiber für die Zulassung in England und Frankreich entbehrt nicht einer gewissen Raffinesse: In einer Broschüre für den europäischen Markt argumentiert die Fedesa, die Zulassung in den USA stünde kurz bevor, die Europäer könnten Wettbewerbsnachteile nur durch eine baldige Zulassung vermeiden. In der US–Version des Heftchens wird genau andersherum gefeilscht: Da die Zulassung in der EG ins Haus stünde, müsse die US– Landwirtschaft der europäischen Konkurrenz mit einer schnellen Zulassung zuvorkommen. Doch jenseits des US–amerikanischen und des europäischen Marktes haben die Multis vor allem die Dritte Welt im Visier: Dort herrscht tatsächlich oft enormer Eiweißmangel bei Kühen, und die Milchleistung liegt weit unter beispielsweise europäischem Niveau. Den Pharma–Riesen geht es beim BST um mehr als nur billigere Milch: Das Mittel wäre die Einstiegsdroge der Gentechnologie in die Landwirtschaft. Auf den Reißbrettern der Pharma–Labors zeichnet sich bereits die Silhouette einer Branche ab, die nur noch wenig mit dem zu tun hat, was man sich gemeinhin unter Landwirtschaft vorstellt. Das Agro–Business der Zukunft soll nicht so sehr Lebensmittel für die Menschen als vielmehr Rohstoffe für die Industrie liefern. So weist der für Europa und Afrika zuständige Monsanto–Direktor Schwammlein im Interview mit der taz (Seite 9) darauf hin, daß sich das Euter der Kuh besonders gut zur Produktion hochwertiger Eiweißstoffe für die Humanmedizin eignet. Auf einem Weltkongreß über die Rolle der Öle und Fette in der Biotechnologie diskutierten im vergangenen September in Hamburg über 800 Wissenschaftler die Möglichkeiten der Produktion wertvoller Öle durch Mikro–Organismen. Industriepflanzen als Rohstoffquelle für die chemische Industrie? Die Rapsacker als oberirdisches Ölfeld der Zukunft? Der Trend ist klar: Das neue EG–Forschungsprogramm „Eclair“ will die gen– und biotechnischen Möglichkeiten der Um wandlung landwirtschaftlicher Produkte in industrielle Rohstoffe auskundschaften lassen. Gesponsort werden ausschließlich Projekte, an denen sich auch die Industrie beteiligt. Eclair ist nur eines von vier großen Bio–Tech–Programmen der EG. Den äußerst industriefreundlichen Brüsseler Euro–Kraten kommt auch bei der umstrittenen Zulassung des BST eine Schlüsselposition zu. Der Ausschuß für Veterinärmedizin der EG muß sich mit den Schlußfolgerungen der französischen und britischen Genehmigungsbehörden auseinandersetzen. Eine Zulassung durch diesen Ausschuß würde in allen EG–Ländern rechtskräftig, falls dann nicht nationale Behörden innerhalb von zwei Monaten Widerspruch einlegen. Das Demokratieverständnis der Euro–Kraten veranschaulicht der Chef der für Biotechnologie zuständigen Kommissionsbehörde, Marc Cantley: Auskünfte darüber, welche Stellungnahme der Veterinärausschuß abgeben werde, gar ob das Verfahren bei der Kommission überhaupt schon angelaufen ist, verweigert er strikt mit dem Verweis auf den Vertraulichkeitsschutz. Und sein Kollege Leathes doppelt nach: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ihre Regierungen werden Ihnen schon Bescheid sagen.“ Im Europa–Parlament, dem Straßburger Feigenblatt der EG– Bürokratie, scheint eine Mehrheit gegen die Zulassung von BST möglich. Der Forschungs– und Energie–Ausschuß der Straßburger Versammlung hat sich bereits gegen BST ausgesprochen; der Agrar–Ausschuß will das Mittel allenfalls zum therapeutischen Einsatz freigegeben wissen. Zwar hätte eine ablehnende Resolution des Europa–Parlamentes keinen bindenden Charakter für Kommission und Ministerrat, ihr käme aber eine nicht zu unterschätzende öffentliche Wirkung zu. „Deshalb“, so vermutet Benny Härlin, Euro–Abgeordnete und Mitbegründer des Gen–Ethischen Netzwerkes in Berlin, „wollen die das Thema unter der Decke halten und verschleppen.“ Die BST–Debatte, ursprünglich schon für Februar vorgesehen, wird seither Monat um Monat vertagt. Ihre Vorstellung von der Landwirtschaft der Zukunft legten die Brüsseler Kommissions–Experten kürzlich in einem Diskussionspapier für Europa–Parlament und Ministerrat dar unter dem aufschlußreichen Titel „Biotechnologie in der Gemeinschaft - Stimulierung der agrarindustriellen Entwicklung“. Die große Chance der Westeuropäer im weltweiten Biotech–Wettlauf sei „ihre starke chemische Industrie“. Die Konsequenz: „Wir müssen rentable Wege für eine Verknüpfung unserer Landwirtschaft mit der Industrie finden.“ Eine solche Agrar– Politik wird unabsehbare ökologische Konsequenzen nach sich ziehen: Wo auf Äckern Grundstoffe für die Industrie angebaut werden, werden auch die Grenzen für den großflächigen Gifteinsatz gesenkt, die der menschliche Verzehr landwirtschaftlicher Produkte bisher noch setzte. Die Produktion läuft schon Zur Zeit also ist BST nirgends auf der Welt zugelassen. Doch Anfang dieses Jahres nahm bereits eine erste Produktionsstätte den Versuchsbetrieb auf: Im idyllischen Tiroler 3500–Seelen–Dorf Kundl erweiterte die Firma Bio– Chemie sein Werksareal um eine fußballfeldgroße Werkhalle; dort läßt Monsanto das milchvermehrende Dopingmittel herstellen. „Monsanto–Halle“ nennen die Einheimischen den Neubau. Der Probebetrieb in der Großfertigungsanlage sei bereits angelaufen, erklärt die Werksleitung, man produziere vorerst den Bedarf für weitere Testserien. Die Bio–Chemie gehört zu 100 Prozent dem Basler Crash–Konzern Sandoz, der 1986 und 1987 mit Blick in die Gen–Zukunft je rund ein Viertel seiner weltweiten Konzerninvestitionen in die Tiroler Tochter steckte. Noch im Laufe des Jahres 1988, so hieß es im Förderungsantrag an die Republik Österreich und das Land Tirol, wolle man die Zahl der Arbeitsplätze um 400 auf rund 2.000 erhöhen. Und das alles im Versuchsbetrieb? In Kundl selbst, wo man entweder in der Landwirtschaft oder in der Bio–Chemie arbeitet, ist der Wunderdroge - abgesehen von der fehlenden Lizenz aus Wien - jedenfalls kein Markt beschieden. „Sehr skeptisch“, so erläutert Bauer Eder vom Leddingerhof, dessen 15 Kühe entlang des Fabrikzauns weiden, stehe er wie die meisten Tiroler Bauern solchen Innovationen gegenüber. Das sagt er auch dem Bio–Chemie–Direktor, dessen Jüngster auf einem Hupfball über seinen Hof hopst. Aber umweltfreundlich sei sie, die Bio–Chemie, „riechen duat ma nix“. Auch Eders Nachbarin, die nur noch eine einzige Milchkuh im Stall hat, sieht keinen Nutzen im BST. Aber das Düngemittel Bio– Sol aus der Produktion von nebenan findet sie prima und zeigt zum Beweis auf die prächtigen Rosen vor ihrem Haus.