INTERVIEW
: Kein Vertrauen in chilenische Justiz

■ Carmen Gloria Quintana wurde bei einer Demonstration gegen Diktator Pinochet lebensgefährlich verletzt / Von den 30 Soldaten, die die Demonstranten mit Benzin übergossen und anzündeten, wird nur noch gegen einen ermittelt

Am 2.Juli 1986 – einem Tag vor dem bisher größten Streik gegen das Pinochet-Regime – zündete eine Militärpatrouille am nördlichen Stadtrand von Santiago zwei Jugendliche an, wickelte sie danach in Decken ein und warf sie sieben Kilometer vom Tatort entfernt in einen Straßengraben. Rodrigo Rojas starb, Carmen Gloria überlebte. 62 Prozent ihrer Haut waren verbrannt. Frau Quintana hält sich zur Zeit in der Bundesrepublik auf.

taz: Wie ist der aktuelle Stand des Ermittlungsverfahrens gegen die Soldaten?

Carmen G. Quintana: Das Verfahren läuft unter der Kontrolle eines Militärgerichts. Ursprünglich gegen 30 Soldaten, die daran beteiligt waren, jetzt nur noch gegen den, der mich angezündet hat. Alle Soldaten sind auf freiem Fuß, zwei gegen eine Kaution von 25 Dollar. Der befehlshabende Leutnant der Militärpatrouille wurde im letzten Jahr sogar zum Hauptmann befördert.

Ich habe überhaupt kein Vertrauen in die chilenische Justiz. Seit 14 Jahren, seit Pinochets Militärputsch, ist noch kein Mitglied der Armee wegen eines Verbrechens verurteilt, wegen der zahllosen Morde und Folterungen zur Rechenschaft gezogen worden. Statt die schuldigen Militärs zu verhaften, hat man zwei Zeugen des Attentats auf mich und Rodrigo Rojas ins Gefängnis gesteckt, wo sie wie die anderen politischen Gefangenen gefoltert werden.

Wie ist denn die Gegenüberstellung mit den Soldaten abgelaufen, unter denen die Täter waren?

Zunächst wurden mir in 25 Gruppen 280 Soldaten mit geschwärzten Gesichtern unter militärischer Kontrolle vorgeführt. Ich mußte hinter einer Glasscheibe sitzen. Mit 90prozentiger Sicherheit konnte ich den erkennen, der mich mit Benzin übergossen und angezündet hat. Neben ihm stand einer, der fast genauso aussah. Dann wurde ich 15 Stunden lang ohne Anwesenheit meines Rechtsanwalts vom Staatsanwalt verhört. Er bezeichnete mich immer wieder als Lügnerin und bedrohte mich mit Gefängnis.

Später wurde am Tatort die Situation vom 2.Juli 1986 nachgestellt. An zwei Tagen mußte ich – einmal sieben, das andere Mal fünf Stunden – im Regen stehen. Die Militärs hatten den Ort großräumig abgesperrt. Weder meine Mutter noch mein Anwalt noch die Presse waren zugelassen. Die Soldaten machten sich über mich lustig. An ihrem Lachen erkannte ich weitere Mitglieder der Patrouille, die das Attentat verübt hat. Doch das interessierte den Staatsanwalt nicht. An diesem „Ermittlungsverfahren“ nehme ich nicht teil, weil ich an seine Gerechtigkeit und Wahrheitssuche glaube, sondern weil es mir die Möglichkeit gibt, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, was in Chile unter Pinochet passiert.

Wo leben Sie jetzt?

Ich lebe in Montreal (Kanada), wo ich medizinisch behandelt werde. Im Augenblick wäre ein Aufenthalt in Chile auch zu gefährlich für mich. Doch ich möchte so bald wie möglich zurückkehren, um gegen die Diktatur und für ein demokratisches Chile zu kämpfen. Interview: Reinhard Mohr