Genschers chilenischer Weihnachtsflop

■ „Colonia Dignidad“ ließ eine Kommission des Auswärtigen Amtes abblitzen / Folter, Arbeitszwang und Freiheitsberaubung in der deutschen Siedlung werden nicht untersucht / Genscher spuckte große Töne / Wird nun alles klein gekocht?

Aus Santiago Gaby Weber

Santiago (taz) - Gestern hat die von Genscher eingesetzte Untersuchungskommission zwei Tage vor ihrem geplanten Rückflug Hals über Kopf die chilenische Hauptstadt verlassen, nachdem die Leitung der „Colonia Dignidad“ sogar gerichtlichen Schutz vor ihrem Besuch erbeten hatte. Die Kommission, die offiziell als „unabhängig“ bezeichnet wurde und nur aus Privatleuten bestanden haben soll, entpuppte sich als weisungsgebunden, verzichtete auf abschließende, bereits ins Auge gefaßte Unternehmungen und ließ sich vom bundesdeutschen Außenminister zurückzitieren. Es hatte sich also durchaus ausgezahlt, daß man in der Kommission nicht nur einen Pressesprecher des Auswärtigen Amts (AA), sondern auch den Ministerialdirektor Reinhard Schlagintweit als Aufpasser mitgeschickt hatte - beide sprechen übrigens kein Wort spanisch. Nachdem die „Villa Baviera“ - wie sich die Kolonie heute nennt - eine Inspektion rundweg abgelehnt hatte, verzichtete die Delegation zwar auf einen ungebetenen Besuch vor dem Tor der Kolonie, man wollte aber wenigstens zu ihrem neu eröffneten Restaurant in Bulnes, 80 Kilometer nördlich der südchilenischen Stadt Concepcion, fahren, dort Eisbein und Sauerkraut futtern, eine Maß zechen und ganz nebenbei und höflich die dort kochenden und servierenden „Dignidad“–Zöglinge fragen, warum sie sich mit Händen und Füßen gegen einen Besuch wehren. Dieses Ansinnen - für Samstag geplant - verbot das Auswärtige Amt rundweg. Der Delegationsleiter Johannes Marre konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Sogar eine Presseerklärung zum Abschluß der Mission wurde verhindert. „Wir machen uns wie geprügelte Hunde mit eingekniffenem Schwanz davon“, so ein Kommentar aus der Delegation. Außer Spesen also nichts gewesen, aber die machen locker 250.000 Mark aus. Die achtköpfige Delegation war Lufthansa erster Klasse geflogen, sie hatte mehrere Fahrzeuge samt Chauffeuren zur Verfügung und wohnte im Luxushotel „Holiday Inn“ - nomen est omen. Doch ganz umsonst war die Reise nicht, trösten sich die Delegationsmitglieder. Immerhin habe man durch Gespräche am Rande Informationen bekommen, die bis dahin kursie rende Gerüchte über ein Folterzentrum auf dem Gelände der „Colonia Dignidad“ bestätigen. Und schließlich hat die Kommission bei ihrem Flug über die Siedlung eine überdimensionale Landepiste in der deutschen Kolonie entdeckt, die eine Länge von über zwei km hat. Ein Sportflugzeug kommt mit etwa 300 Metern aus, das Siebenfache reicht für einen Transporter vom Typ „Hercules“. Einwohner der „Villa Baviera“ haben berichtet, daß dort nachts große Maschinen landen und starten. Wegen der Dunkelheit konnte bisher niemand die Flugzeuge identifizieren. Etwas Gutes hat die Delegation sicherlich ergeben: Angesichts ihrer Erkenntnisse kann Genscher seine Hände nicht mehr in den Schoß legen, wie er es seit über zehn Jahren getan hat, während Journalisten und Menschenrechtsorganisationen immer wieder die deutsche Kolonie angeklagt hatten. Vor der Abreise „meiner Männer des Vertrauens“ hatte der Außenminister in Bonn großspurig herumgetönt, er werde auf den Putz hauen, wenn die Kolonie seiner Delegation den Zugang verweigere. Doch angesichts der bundesdeutschen Zustimmung zum Weltbankkredit und dem rigorosen Maulkorb der Delegationsmitglieder darf bezweifelt werden, daß Genscher die bisherige Freundlichkeit des Auswärtigen Amtes der Kolonie gegenüber aufgeben wird. Eines gilt als sicher: Angesichts des Dilettantismus, mit dem das Auswärtige Amt die Mission eingefädelt hat, klopft sich in München Franz–Josef Strauß lachend auf die Schenkel.