Auch im Revier: „Jeder Popel fährt Opel“

■ Vor 25 Jahren ließ sich Opel in Bochum nieder / Kommune „kratzte ihre ganze Habe“ für die einzige industrielle Großansiedlung im Montanrevier zusammen

Aus Bochum Petra Bornhöft

Sechs Millionen Kadetts in einem Vierteljahrhundert - das feierte Opel am Samstag in Bochum mit 25 Tonnen Erbsensuppe. Schon seit dem Frühjahr, als die Adam Opel AG, seit 1931 Firmentochter von General Motors in den USA, 125 Jahre alt wurde, reihen sich Festakte und Glückwünsche aneinander. Daß der Autoriese sich in Bochum niederließ, verleitete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung gar dazu, von einer „göttlichen Fügung“ zu schreiben. Doch die einzige industrielle Großansiedlung im Montanrevier war nicht nur teuer. Sie hat auch den erhofften „Strukturwandel“ nicht gesichert, den Kohle– und Stahlunternehmen ebenso ausgelöst wie bekämpft haben. Einige Jahre nach Auslaufen der Kriegsproduktion wollte Opel wieder in das Kleinwagengeschäft einsteigen. Im Werk Rüsselsheim fehlte der Platz. Bedingt durch die Bergbaukrise konzentrierten sich die Standortüberlegungen für neue Kadett–Fabriken auf das Ruhrgebiet. Hier gab es genügend Arbeitskräfte, Bauland und kooperationsbereite Kommunalpolitiker. In Dortmund, so die Legende, war die Montanmafia stark genug, ihre uneingeschränkte Herrschaft vor ungewollter Konkurrenz zu bewahren. Erfolg hatten die als Unterhändler der „Firma Wolff und Co“ getarnten Opelianer in Bochum. Der Konzern diktierte knallharte Forderungen und die Stadt „hat ihre ganze Habe zusammengekratzt, um Opel mit all seinen Wünschen und Vorstellungen ein adäquater Partner zu sein“, wie OB Eikelbeck rückblickend sagt. Nach weislich 2.600 Bergleute verloren ihren Arbeitsplatz, weil Opel das Gelände beanspruchte. Dem Bergbauunternehmen zahlte die Stadt zwölf Millionen DM Entschädigung. Insgesamt 165 Hektar kaufte die Verwaltung zum Quadratmeterpreis von bis zu 20 DM und verschenkte die Flächen an Opel für 2 DM/qm. Insgesamt zahlten Land und Kommune rund 230 Mio. für die Bereitstellung von Grundstücken, Gleis– und Autobahnanschlüssen, Kraftwerk, Wohnungen usw. Die größte Hypothek indes übernahm die Stadt mit der Zusicherung, alle Folgekosten für die Bergschäden zu tragen. In diesem Zusammenhang vermuten Kritiker, daß einige der neun in den sechziger Jahren stillgelegten Bochumer Groß–Zechen nicht allein wegen höherer Gewinnaussichten im Erdölgeschäft dicht gemacht wurden. Bergschädengefahr und das Verbot, unter den Opel–Werken Kohle abzubauen, ließen manchen Pütt rascher „absaufen“ als geplant. Ob sich der hohe Aufwand für die Ansiedlung gelohnt hat, ist umstritten. Kritiker behaupten, keine der damals propagierten Ziele - weitestgehende Krisensicherheit durch Strukturwandel, Vollbeschäftigung sowie Stärkung der kommunalen Steuer– und Finanzkraft seien erreicht worden. Dagegen behauptete der damalige Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung, Heinrich Schlauch, kürzlich in einem Interview: „Nach zehn Jahren waren die Ausgaben wieder drin. Und wir hatten Zukunftsweisendes für das ganze Revier bewiesen: Großansiedlungen auf Bergschadensgebieten waren möglich“. Tatsächlich bleibt die Höhe der Opel–Rückzahlungen wegen des Steuergeheimnisses unbekannt. Seit acht Jahren fließt fast keine müde Mark mehr in die Stadtkasse, denn der Weltkonzern soll gerade hier eine Minusbilanz erwirtschaftet haben. Teilweise hat Opel die Gewinne ins Ausland an GM–Schwestergesellschaften verlagert. Offiziell werden 1987 erstmals wieder „schwarze Zahlen“ geschrieben, doch Bochum rechnet erst ab 1992 wieder mit Gewerbesteuer - wenn diese bis dahin nicht ebenso wie die Lohnsummensteuer abgeschafft ist. Schon heute ist die Stadt ähnlich hoch verschuldet wie die anderen Revier–Kommunen. Das liegt nicht zuletzt an den hohen Folgekosten der Arbeitslosigkeit. Mit 15,6 Prozent rangiert Bochum an achter Stelle in der Stati stik der Arbeitslosenämter des Ruhrgebietes. Häufig genug reihten sich Opelarbeiter in die Schlange ein. Nach dem hire–and– fire–Prinzip erneuerte das Unternehmen rechnerisch dreimal die Belegschaft, 50 000 Menschen wurden ausgewechselt. Verteilt auf zwei große Werke und eine Klitsche arbeiten heute 17.500 Männer und Frauen für den größten Arbeitgeber der Region - in Aussicht gestellt hatte Opel „bis zu 30.000 Arbeitsplätze“ in vier Fabriken. Wirtschaftlich bedeutsam sind zudem die Aufträge für die Zulieferindustrie, doch sie haben die (lokalen) Pleiten der Bergbauzulieferer kaum ausgeglichen. Die Stadt ist von einer Abhängigkeit in die andere geschliddert, auch deshalb weil die Montanindustrie weitere Ansiedlungsprojekte der PKW–Bauer verhinderte. In Analogie zu dem Seufzer der verbliebenen Bergbau– und Stahlstädte warnt die Bochumer Industrie– und Handelskammer: „Wenn es Opel schlecht geht, geht es auch der Stadt schlecht“. Gestützt auf ein Vier–Milliarden–Investitionsprogramm seit 1984 und ein Umsatzplus von elf Prozent im ersten Halbjahr 1987 im Rücken, hat der Konzern sich gut gerüstet für die Verschärfung des Konkurrenzkampfes. „Neben der Offensive im Markt muß eine zweite Offensive im eigenen Haus für noch mehr Wirtschaftlichkeit stattfinden“, sagte Vorstandschef Horst Herke beim Jubiläumsempfang. Bis Ende 1988 will Opel mit Hilfe einer sogenannten Gemeinkostenwertanalyse 1.200 Arbeitsplätze in Bochum vernichten. Der Verkauf der Polsterei an eine Fremdfirma soll 500 Menschen einsparen und markiert die Tendenz zur Vergabe von Fremdaufträgen, nicht unbedingt bezogen auf das Inland, sondern orientiert am Ziel der billigeren, „weltweiten Beschaffung“ (Herke). 200 Beschäftigte mit Zeitverträgen fürchten, im Januar entlassen zu werden. Gleichzeitig sollen Auszubildende, wenn überhaupt, nur befristet übernommen werden. In dieser Situation erbitterte es eine Minderheit von 14 Betriebsräten, daß die 23köpfige Mehrheit kürzlich drei von fünf beantragten Sonderschichten zustimmte. Der Kadett läuft glänzend, doch das reicht den Chefs nicht. Neidisch blickte Herke ins Kadett–Werk Antwerpen: „Dort trifft man Vorbereitungen für Samstagsarbeit und eine dritte Schicht“. Wie sparsam die Konzernstrategen sich gegenüber der in Festreden gelobten Belegschaft verhalten, bewiesen sie mit der Ankündigung, die „Jubiläumszahlung“ von rund 1.000 DM auf das Weihnachtsgeld anrechnen zu wollen. Pfennigfuchserei kennzeichneten denn auch den Jubiläumsempfang für Ex–Lehrling Blüm, Rau, Bischof Hengsbach und 337 weitere Gäste. Auf den fließbandähnlich angeordneten, schmucklosen Blechen lag der über Melonenbällchen gewurschtelte Schinken. Mangels Gabel mußte frau mit den Fingern rummanschen. Der Billig–Sekt Fürst Metternich zeugt ebenfalls von Knausertum erster Güte. Die Räumlichkeiten des Bochumer Museums konnten nicht darüber hinwegtäuschen: wie das Auto so die „Kadetten“ - kein Stil.