I N T E R V I E W Der Ausstieg aus der RAF wird unmöglich gemacht

■ Heinrich Hannover, Anwalt Peter Jürgen Boocks, über die Unmöglichkeit einer Verteidigung von Aussteigern und zur Ablehnung des Revisionsantrages von Boock

taz: Der Peter Jürgen Boock–Prozeß, so sah es anfangs aus, paßte nicht ins Stammheimer Passepartout - nicht der Angeklagte, der sich weder als heroischer Kämpfer der RAF noch als Zeuge der Anklage präsentierte, und auch nicht die Anwälte, die versuchten, in Stammheim so etwas wie eine „normale“ Verteidigung aufzubauen. Doch das Urteil, gegen das jetzt die Revision verworfen wurde, paßte wieder ins Schema F. Läßt Stammheim noch eine objektive Prozeßführung zu? Heinrich Hannover: Die Justiz hat die Gelegenheit verpaßt, im Fall Boock zu beweisen, daß sie Versprechungen der Politiker einlösen kann, wonach Leute, die sich von der RAF trennen, einen fairen Prozeß zu erwarten haben. Peter–Jürgen Boock hat keinen fairen Prozeß gehabt. In der ersten Hauptverhandlung beim zweiten Strafsenat sind wir auf Richter getroffen, die voller Vorurteile waren und die Version der Bundesanwaltschaft inhaltlich voll übernommen haben, obwohl die Beweislage mehr als dürftig war. Daran konnte auch die faire nur noch um die Randfrage der Drogenabhängigkeit ging. Sie sind in dem entscheidenden ersten Verfahren von Anfang an auf eine feindselige Emotionalität bei Bundesanwälten und Richtern gestoßen. Ja. Es war ein Prozeßklima, wie man es offenbar in Stammheim von anderen Terroristenprozessen her kannte. Und es war nicht möglich, eine traditionelle Verteidigung zu führen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Mit diesem Urteil sind Maßstäbe für andere Aussteiger gesetzt worden. Danach wäre ein Ausstieg für ein RAF–Mitglied das letzte, was ratsam erscheint, wollte es noch einmal im Leben außerhalb von Hochsicherheitstrakten die Freiheit genießen. Soll das, nach der Verwerfung der Revision, das letzte Signal von Gericht und Bundesanwaltschaft an die RAF sein? Ich kann den Wink aus Karlsruhe nur so verstehen, daß man den Terrorismus aus politischen Gründen braucht, und entgegen dem, was man an schönen Worten auf der Zunge führt, eine Rückkehr in die Menschlichkeit, wie das bei Hans–Joachim Klein genannt wird, nicht wünscht. Die Bundesanwaltschaft schafft sich also ihre RAF selbst? Sie steht repräsentativ für eine Fraktion der herrschenden Klasse, die den Terrorismus braucht, um ein Feindbild aufzubauen, das viel bequemer ist als jedes andere, das sich bisher geboten hat. Ein Feind, den man ohne einen Krieg bekämpfen kann, und gegen den man auf jedem Fall Sieger bleibt. Was würden Sie einem Aussteigerkandidaten aus dem Untergrund jetzt noch raten? Die Frage müssen Sie der Bundesanwaltschaft stellen. Denn sie hat die harte Linie entwickelt und in Stammheim durchgesetzt, wonach nur der eine Chance hat, einen fairen Prozeß zu bekommen, der bereit ist, als Gehilfe der Ermittler seine früheren Genossen zu verraten. Wer dazu nicht bereit ist, muß damit rechnen, genauso unfair verurteilt zu werden, wie dies mit Boock geschehen ist. Damit ist das Aussteigen aus der RAF noch schwerer geworden, als es bisher schon war. Denn die Alternative Lebenslänglich oder Verräter ist natürlich nicht attraktiv. Darüberhinaus ist zu befürchten, daß die RAF Leute, die sie für potentielle Verräter hält, nicht laufen läßt. Soll damit die Möglichkeit der Liquidierung von Aussteigern angedeutet werden? Da bin ich auf Spekulationen angewiesen. Ich weiß nur, daß derartige Ängste bestehen. Aber es gibt auch eine liberale Öffentlichkeit, die so etwas wie eine Waffenruhe und Aussöhnung initieren möchte. Dialogbereitschaft mit Terroristen wird von der Bundesanwaltschaft und den hinter ihr stehenden Kräften systematisch torpediert. Es bedarf noch großer politischer Kämpfe, um eine liberale Öffentlichkeit gegen diese Kräfte zu mobilisieren. Wie in anderen Urteilen in Stammheim wurden die Taten, die der RAF als Kollektiv vorgeworfen wurden, als Schuld jedes Einzelnen gewertet, auch wenn er daran nicht nachweislich als Mittäter beteiligt war. Das Gericht hat sich die Kollektivitätsphrasen, die von der RAF selbst gedroschen worden sind, zu eigen gemacht und sich damit den konkreten Tatnachweis im Einzelfall erspart. Sie hat damit etwas getan, was in den Nazi–Verbrecherprozessen ganz bewußt nicht geschehen ist. Dort war der Einzeltatnachweis in jedem Fall Voraussetzuung für eine Verurteilung, obwohl bei den Massenverbrechen der Nazis ja nun wirklich eine kollektive Verbrechensorganisation vorlag. Würden Sie einen solchen Prozeß noch einmal führen? Auf gar keinen Fall. Interview: Kuno Kruse