D O K U M E N T A T I O N Blüms Szenen aus dem Folterstaat

■ In der Zeit schildert Norbert Blüm Einzelheiten seines Chile–Besuchs: In einem chilenischen Gefängnis - Bei der deutschen Botschaft / Wir dokumentieren Auszüge:

Commandante weiß nichts von unserem Besuch. Das wärs! Dann telefoniert er doch. Wir nehmen auf einer Holzbank Platz. Rechts von uns durchquert ein Gendarm die Breite des Raumes, am Wendepunkt Hackenschlagen und dann im Stechschritt zurück. Ob er übt? Oder ist die Automatik gerastet, und er findet den Knopf zum Abschalten nicht? Stramm hinter den vor uns marschierenden Gendarmen erreichen wir ein Büro: Großer Schreibtisch. Gleich zwei Pinochet–Bilder an der Stirnseite. Es dauert Minuten und es kommt, geführt von einem Gendarm, Dr. Olivares. Unser Gespräch beginnt leise. Nein, jetzt würde er korrekt behandelt. Auf den Fahrten zu den Verhören gehe es allerdings anders zu. Da seien die anderen, nicht die Gendarmen, an der Reihe. Ja, er habe einen Verwundeten behandelt, ohne zu fragen, woher seine Verletzung rühre. Das sei keine Heldentat. „Ich habe nur den hippokratischen Eid erfüllt.“ Und jetzt sitzt er seit sieben Monaten im Gefängnis. Die „Vicaria de la Solidaridad“ verteidigt ihn. Für die „Vicaria“ hatte er als Arzt gearbeitet. Christen 1987 in Santiago de Chile. Wir kamen zu spät zum Botschaftsempfang. Das Gepräch mit der Menschenrechtskommission hatte länger gedauert. Der Bericht von den Morden war länger als erwartet. Aber die Stimmung in der Botschaft war schon gut. Small talk war sektbewaffnet, Campari–umrahmt in vollem Gange. Erdnüsse und ein Häppchen hier, ein Häppchen dort. Ich werde vorgestellt. Fast alle demokratischen Parteien sind da. Viele Christdemokraten. Vor allem meine Landsleute, die hier ihren Geschäften nachgehen. Der Repräsentant der deutsch–chilenischen Industrie– und Handelskammer begrüßt mich freundlich, umrahmt von bedeutenden Mitgliedern seiner angesehenen Institution. Ein leichtes Zittern in seiner Stimme, als er bedauert, daß ich keine Zeit für ein Gespräch mit ihm ermöglichen konnte - dann bitter hinterhergeschoben, schon einen Hauch aggressiver: „Aber das war bei Geißler genauso.“ Ich übergehe den kleinen Haß und lächle „smalltalkend“ mein Bedauern zurück, schiebe allerdings eine kleine Bemerkung hinterher: Es gebe hier in Santiago noch wichtigere Sachen als Geschäfte. Ja, wie schön das Leben hier sei. Alle Schönheiten der Natur biete das Land, schnattern sie und ihre juwelenbehangenen Gattinnen mir entgegen. Nein, von Folter wissen sie nichts. Es mag sie geben - ja - ja - naja. Doch irgendeinem, vielleicht nach einem Campari–Soda zuviel, fällt die antrainierte Harmlosigkeit aus dem Gesicht, und er zischt Peter Clever zu: „Eine linke Ratte ist Gabriel Valdes.“ Und nach einigem Hin und Her setzt er noch eins drauf: „Volksverräter“ nennt er ihn. (Gabriel Valdes ist Präsident der chilenischen Christdemokraten, d. Red.) Reicht der Verstand der Geschäftsleute nicht weiter als bis an den Rand ihrer Schreibtische? Der Anstand wenigstens sollte ihnen gebieten, dem Demokraten die Stange zu halten. Soziale Marktwirtschaft, jedenfalls so wie ich sie verstehe, gibt es nur in der Demokratie. Soziale Marktwirtschaft ist nicht wertneutral, sie ist freiheitsfixiert. PS: Der Anstand und Verstand an diesem Abend verloren hatte, war ein deutscher Banker.