Pleitegeier am Horizont

■ Indiens Unternehmer spüren die Auswirkungen der neo–liberalen Wirtschaftspolitik

Auf kaum einem anderen Gebiet hat sich Rajiv Gandhis neue Politik so nachhaltig ausgewirkt wie in der Wirtschaft. Staatliche Kontrollen wurden gelockert, Importe und die Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen erleichtert, Steuern gesenkt - in der Hoffnung auf Wachstum und eine längst überfällige Modernisierung. Indiens Unternehmer, bis dahin verwöhnt durch Schutzzölle und Monopolsituation, mußten sich umstellen auf Konkurrenz, Qualitäts– und Kostenbewußtsein. Eine Art Gründerzeit brach an, eine Welle neuer Produkte drängte auf den Markt - Video, Motorroller, Farbfernseher, Fertiggerichte, Autos. Von den ausländischen Unternehmen nutzten vor allem die Japaner die Gunst der Stunde für den Einstieg in den indischen Markt. Einheimischer Nutznießer war der städtische Mittelstand. Eine Konsumwelle schwappte durch die Städte und in die Wohnzimmer. Über Nacht schien sich die Wirtschaft, seit Jahrzehnten durch technologischen Stillstand, unausgelastete Kapazitäten, Engpässe und miese Qualität gekennzeichnet, auf ungeahnte Höhen aufzuschwingen. Ausläufer der Welle erreichten selbst die ländlichen Regionen, wo die neue Bauernklasse zumindest mit einem Motorrad, einem Fernsehgerät oder einem Tisch–Ventilator Anschluß an die neue Lebenswelt suchte. Seit Ende des Jahres mehren sich jedoch die Anzeichen, daß die Wirtschaft schon wieder auf Talfahrt geht. Die Zahl der Firmenpleiten steigt, in vielen Sektoren wird die Produktion gedrosselt. Härtere Konkurrenz und begrenzte Kaufkraft fordern unter allzu optimistischen oder voreiligen Unternehmern ihren Zoll. Bei manchen Wirtschaftssprechern breitete sich angesichts dieser Folgen des wirtschaftspolitischen Wendemanövers gar Untergangsstimmung aus. Die begrenzte innere Nachfrage, die Konkurrenz durch Importe und die eher düsteren Export–Perspektiven erscheinen den Kapitalbesitzern, die Rajiv Gandhi einst wie einen Befreier von den Fesseln staatlicher Bevormundung begrüßten, jetzt wieder bedrohlich. Während erste Zweifel an der Weisheit des eingeschlagenen Weges auftauchen, empfiehlt die Weltbank, die als wichtiger Finanzier des indischen Staatshaushalts ein einflußreicher Berater ist, noch mehr Liberalisierung. Versüßt werden soll dieser Schritt mit einem Anstieg der Entwicklungshilfe für 1987/88 um fast 30 Prozent auf 5,4 Mrd. US– Dollar. Da darunter auch in wachsendem Maße Kredite mit relativ hohen Zinsen sind, ist Indien, das gegenwärtig mit 3,6 Mrd. US–Dollar verschuldet ist, auf dem besten Weg in die Schuldenfalle. U.H.