Kommt AIDS doch aus dem Reagenzglas?

■ Eine neue Theorie zum Thema AIDS - Wer wars?: Der US–amerikanische Gentechnologiekritiker Jeremy Rifkin fordert in einer ultimativen Petition an die Gesundheitsbehörden Aufklärung darüber, ob ein durch Rinderviren verunreinigter Impfstoff die Immunschwäche AIDS verursacht haben könnte

Von Kuno Kruse

Waren Gewebekulturen, aus denen amerikanische Labors Impfstoffe für Menschen herstellen, mit einem Rinder–Virus verunreinigt, der dem AIDS–Erreger ähnlich ist? Und haben solche Impfstoffe die weltweite AIDS–Epidemie ausgelöst? Diese und andere brisante Fragen präsentierte vor kurzem ein amerikanischer Staatsbürger in Washington der Öffentlichkeit, ein Mann, der die Protagonisten unkontrollierter High–Tech–Biologie in der Vergangenheit wiederholt das Fürchten lehrte: Jeremy Rifkin, Vorsitzender der „Foundation on Economic Trends“, in der sich die US– amerikanischen Kritiker der Gentechnologie organisiert haben. In einer dringenden Petition an die zuständigen Gesundheitsbehörden schrieb Rifkin: Eine Tatsache die sich als „außergewöhnliche Bedrohung des Gesundheitswesens herausstellen könnte“ fordere umgehend administratives Handeln: Die Ähnlichkeit zwischen dem AIDS–Erreger HIV und dem Visna–Virus der Rinder, Bovin Immundefeciency Virus (BIV) genannt, ist nämlich so groß, daß das Rindervirus im Forschungszentrum „Program Resources Inc.“ in Fort Dietrich (Maryland) bereits als Modell für die AIDS–Forschung verwandt wird. Für Rifkin und seine Mitarbeiter ergab sich darauf ein ganzer Katalog dringender Nachfragen, die sie gleichzeitig dem Gesundheitsamt (National Institut of Health), dem Amt für Seuchenkontrolle (Center of Desease Control) und der Landwirtschaftsbehörde (Department of Agriculture) zur Überprüfung vorlegten. Rifkin sah sich zu seiner Anfrage veranlaßt, nachdem er auf dem 3. Internationalen AIDS– Kongreß in Washington dem Virologen Matthew A. Gonda zugehört hatte. Gonda, dessen Name immer wieder in einem Atemzug mit denen der beiden AIDS–Virus– Entdecker Robert Gallo und Luc Montagnier genannt wird, hatte über jene erstaunliche Ähnlichkeit des AIDS–Erregers HIV mit dem Rinder–Visna–Virus berichtet. Keine Verschwörungstheorie Das Rinder–Visna Virus BIV, wurde schon 1970 bei US–amerikanischen Hausrindern entdeckt. Sieben Jahre später gelang es belgischen Forschern, mit diesem Virus Zellveränderungen in menschlichen Gewebekulturen hervorzurufen. Die Wissenschaftler, die ihre Arbeit unter dem Titel „Infektion menschlicher Zellen mit Visna Virus“ in der Fachzeitschrift J. Gen. Virol vorstellten, legten damals den Schluß nahe, „daß das BIV eine Rolle bei der Entstehung von Krebsviren oder langsam wirkenden Viren (Lenti–Viren) beim Menschen spielen könnte“. Heute ist, nach seiner genauen genetischen Aufschlüsselung, auch das AIDS–Virus HIV in die Familie der Lenti–Viren eingeordnet worden. Selbstverständlich leistet sich die „Foundation on Ecomomic Trends“ keine auch auch noch so vorsichtig formulierte Anfrage, ohne einen Stapel wissenschaftlicher Originalliteratur als Quellennachweise beizulegen. Unter den Arbeiten, die über das Berliner „Genetische Netzwerk“ der interessierten deutschen Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, befinden sich auch frühere Forschungsergebnisse des Virologen Gonda. Darin geht es um die Verwandtschaft zwischen HIV und Lenti–Viren wie dem Schafsvirus Maedi–Visna. Aus dieser Verwandtschaft zog der Ost–Berliner Biologe Jakob Segal seine spekulativen Schlüsse über die Herstellung des Virus in einem Biowaffenlabor. Rifkins Anfrage vermeidet solche Verschwörungstheorien. Sie geht von einem Verdacht aus, der in der wissenschaftlichen Literatur schon wiederholt geäußert wurde: Können Zellkulturen, die im Labor angelegt wurden, mit dem Rindervirus BIV verunreinigt sein? Eine solche Verunreinigung wäre leicht zu erklären. Das Serum ungeborener Kälber wird weltweit als eine Art „Nährlösung“ zum Anlegen von Zellkulturen verwandt. „Man kommt leicht heran, denn es ist auf Schlachthöfen zur Genüge vorhanden und es funktioniert“, erklärte auf Nachfrage ein erfahrener Biologe. Wenn aber die Kälber mit BIV infiziert waren, sind auch ihre Seren damit verunreinigt. So kann das Virus schließlich in Impfstoffe gelangen, die vielfach mit Hilfe von Kalbsseren hergestellt werden. Das legte Rifkin die Frage nach einer Entstehung des AIDS–Virus über die Impfstoffherstellung nahe. Schon vorher war ihm ein Bericht von Wissenschaftlern aufgefallen, die Pockenimpfungen in Afrika und AIDS–Erkrankungen in einen Zusammenhang stellten. Allerdings nur als Auslöser von AIDS bei bereits HIV–infizierten Personen. Vom besser erforschten Leukämievirus der Rinder (BLV), mit dem ein Drittel der Milchkühe und zwei Drittel der Rinder in den USA infiziert sind, weiß man heute, daß es eindeutig in der Lage ist, menschliche Zellen genauso zu infizieren. Der Kronzeuge fehlt Über das Bovin Visna Virus kann man das so nicht sagen. Der Virologe Martin Van der Maaten, Entdecker des BIV, schätzt die Wahrscheinlichkeit, daß Menschen mit dem BIV infiziert werden könnten, als gering ein. „Es ist schon etwas weit hergeholt, anzunehmen, daß kontaminierte Impfstoffe AIDS auslösen“, lehnt der Forscher vom Laboratorium des US–Landwirtschaftsamtes für Tierkrankheiten alle Spekulationen darüber ab, das Rinder–Virus komme als Verursacher der Immunschwächekrankheit in Frage. Auch Matthew A. Gonda, der durch genaue Analysen der Genstruktur die Ähnlichkeiten (Homologien) zwischen BIV und HIV festgestellt hatte, weigert sich strikt, die Rolle eines Kronzeugen für Rifkin zu übernehmen. Gonda in einem Gespräch mit der New York Times: „Wir haben vorgeschlagen, das BIV als Modell für das Studium des AIDS–Virus zu benutzen. Selbstverständlich sind die beiden Viren eng miteinander verwandt. Sie gehören zur selben Familie der Lenti–Viren. Aber nicht eng genug um zu sagen, daß das BIV der Vorgänger vom HIV ist. Ich denke nicht, daß das Rindervirus der Verursacher von AIDS beim Menschen ist. Niemand sollte das denken“. Vor allem will Gonda nicht, „daß irgendwelche Leute sagen, daß sei ein AIDS Virus. Das ist nichts, von dem jemand befürchten müßte, es könne auf Menschen überspringen“. Auch der deutsche Virologe Pauli, Mitarbeiter des Robert– Koch–Instituts in Berlin, der längere Zeit über das Rinderleukämievirus (BLV) forschte, würde die Fragen Rifkins mit „nein“ beantworten. So sieht er die von den Belgiern beschriebenen Zellveränderungen bei menschlichen Gewebekulturen noch nicht unbedingt als Beweis für eine Infizierung an. „Hinterher konnte das Virus aus den Kulturen ja nicht wieder isoliert werden.“ Pauli vergleicht die Arbeit im Labor mit der Fahrt auf einer geraden Straße, im Gegensatz zu den Kurven und Kreuzungen die in der Natur auftauchen. Eine Mutation des BIV in ein HIV in einem Labor ist für ihn auch nach Durchsicht der wissenschaftlichen Originalarbeiten, einfach abwegig.