I N T E R V I E W Strafrecht nicht ändern für AIDS

■ Bundesanwalt Manfred Bruns über die Aufnahme eines Gefährdungsparagraphen in das Strafgesetzbuch / Bruns hält den Totschlags–Vorwurf für nicht praktikabel

taz: Das Münchner Landgericht hat einen mit dem AIDS–Virus infizierten Vergewaltiger auch wegen versuchten Totschlags verurteilt. In diesem Prozeß war der Nachweis einfach, weil der Täter seinem Opfer drohte: Ich will, daß Du AIDS kriegst und verreckst. Aber wie ist so ein Fall grundsätzlich rechtlich einzuordnen? Bruns: In diesen Fällen tritt immer das Problem des Tatnachweises auf. Selbst wenn das Opfer infiziert ist, kann man nicht regelmäßig nachweisen, daß die Infektion vom Täter herrührt. Deshalb kann man immer nur den Versuch bestrafen. Aber der setzt Vorsätzlichkeit voraus, d.h. der Täter muß die Infektion billigend in Kauf nehmen. Jeder Täter kann die Schutzbehauptung aufstellen, er habe gehofft, sein Opfer würde sich nicht infizieren. Gerade deshalb fordert der Münchner Richter Meltior, den Straftatbestand der „abstrakten Gefährdungshandlung“ ins Gesetzbuch aufzunehmen. Soweit es sich um Vergewaltigungen handelt, besteht dafür keine Notwendigkeit. Der Strafrahmen des versuchten Totschlags beträgt nur elf Jahre und drei Monate, während er bei Vergewaltigungen bis 15 Jahre reicht. Man hat also im Strafrahmen des Vergewaltigungsdelikts ausreichend Spielraum, um die zusätzliche Gefährdung duch HIV angemessen zu berücksichtigen. Das Grundproblem stellt sich aber nicht nur bei der Vergewaltigung. Da denkt man zuerst an die Vorschrift des Paragraph 6 Abs. 1 des Geschlechtskrankheitengesetzes. Danach hat sich des Geschlechtsverkehrs zu enthalten, wer infiziert ist, solange die Krankheit nach dem Urteil des behandelnden Arztes übertragbar ist. Ein klarer Fall also? Nein, beim HIV gibt es keine Behandlung, der Infizierte ist lebenslänglich ansteckend. Eine Vorschrift wie des Paragraphen 6 Abs. 1 würde auf ein lebenslängliches Sexverbot hinauslaufen. Das ist unverhältnismäßig, weil es reicht, daß der betroffene Safer Sex praktiziert. Sie fordern also eher ein Kondom–Gesetz? Eine Safer–Sex–Vorschrift ist nicht praktikabel, weil große Beweisschwierigkeiten auftreten würden. Es sind ja immer nur zwei beteiligt, und das könnte Erpressung und Denunziationen fördern. Aber nicht jeder klärt freiwillig seinen Partner über eine HIV–Infektion auf. Es braucht sich niemand auf sexuelle Kontakte mit einem Unbekannten einzulassen und die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen außer acht zu lassen. Gibt es Geschlechtsverkehr heute nur noch auf eigenes Risiko? Was ich sagte, betrifft weder Vergewaltigungsfälle noch monogame Beziehungen, wo der eine dem anderen Anlaß gibt, auf seine Treue zu vertrauen. Aber wer sich außerhalb von monogamen Beziehungen mit Leuten einläßt, die er nicht kennt, muß vorsichtig sein und für seine Gesundheit Vorsorge treffen. Da kann ihm auch der Staatsanwalt nicht helfen. Dann landet nur noch der Seitensprung vor dem Kadi? Und auch dort treten Nachweisschwierigkeiten auf. Denn dann müßte auch der Kläger nachweisen, selbst mit niemand anderem geschlafen zu haben. Dabei kann es ja um einen Zeitraum von zehn Jahren gehen. Er könnte ja schon lange infiziert gewesen sein und die Partnerin angesteckt haben. Diese Probleme sind mit einer Gefährdungsvorschrift nicht zu lösen. Man kann niemanden lebenslänglich einsperren und Nacht für Nacht überwachen. Man kann nur an das Verantwortungsgefühl der Infizierten appellieren. Das Gespräch führte Kuno Kruse