„Klein–karierter“ Bundesregierung die Schau gestohlen

■ Bei der Genfer UNCTAD–Konferenz machen die UdSSR und Japan mit schönklingenden Angeboten von sich reden / Westliche Marktfanatiker machen verbohrten Eindruck

Aus Genf Konrad Melchers

Wie der Stummfilm einer Generalprobe wirkte die Eröffnungszeremonie der siebten Welthandelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) am vergangenen Donnerstag im Plenarsaal des Genfer Völkerbundpalastes. Der Protokollchef der UNO geleitete im unscheinbaren Bürokratendress die ehrwürdigen Eröffnungsredner zu ihrer Tribüne. Als dann der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Javier Perez de Cuellar, den Hammer auf seinen Tisch niedergehen ließ und eine Rede mit monotoner Stimme verlas, ebbte die Geräuschkulisse der rund 2.000 Delegierten und Beobachter kaum ab. Die notablen Redner, neben de Cuellar die Staatspräsidenten von Jugoslawien und der Schweiz sowie der zum Präsidenten von UNCTAD VII gekürte simbabwische Finanz– und Planungsminister, Bernhard Chidzero, waren nur mit Kopfhörer zu verstehen. Ein wenig prunkvoller ging es am nächsten Tag zu. Der französische Staatspräsident Mitterrand erschien mit einem Gardeoffizier in Galauniform. Seine Rede lag so weit ab von den Realitäten seiner Regierung und erst recht von denen der amerikanischen, englischen und bundesdeutschen, daß der Pressestab der französischen Regierung auch am nächsten Tag noch keine schriftliche Fassung der Rede vorlegen konnte. Mitterrand hatte sich nämlich zu „gescheiterten Themen“ der UNCTAD geäußert. In freier Rede erklärte er, daß die Rohstoffpreise stabilisiert werden müßten. Rohstoffabkommen und das integrierte Rohstoffprogramm von UNCTAD seien deshalb „weiter wichtig und interessant“. Selbst solche kläglichen Reste des großen Projekts der Dritten Welt, einer neuen Weltwirtschaftsordnung, wirken auf die Marktapologeten wie Tarantelstiche. Am deutschen Delegationstisch rührte sich zum Schluß der Mitterrand–Rede keine Hand. Die Rohstoff–Bereicherungs–Länder aus dem Norden wollen den Entwicklungsländern noch nicht einmal eine nach unten abgeleitete Rohstofferlösstabilisierung zugestehen. In den bundesdeutschen Verhandlungsleitlinien heißt es kurz und knapp: „Keine Zustimmung zu weiteren markt–intervenierenden Rohstoffabkommen“. Die sind aber die Voraussetzung da für, daß das Abkommen über den gemeinsamen Rohstoffonds, das der Bundestag 1984 ratifiziert hat, in Aktion treten kann. Daran ändert auch nichts, daß die UdSSR am Montag in Genf nun doch endlich ihre Bereitschaft erklärte, das Abkommen zu ratifizieren. Dennoch ist die Bundesregierung darüber sichtlich beunruhigt. Der zum Eröffnungstag nach Genf eingeflogene Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Hans Klein, wollte vor der Presse eine sowjetische Ratifizierung erst bewerten, wenn sich zeige, ob Gorbatschow damit die Entwicklungsländer „aufhetzen“ wolle, auf „dirigistischen Wegen“ weiterzugehen, oder ob er „mäßigend“ auf sie einwirken werde. Sichtlich sauer ist die bundesdeutsche Delegation, daß die Sowjetunion der EG die Show stiehlt, ohne vielleicht einen Pfennig dafür zahlen zu müssen. Denn hinter der Bank ohne Kunden, die der gemeinsame Rohstoffonds zur Preisstabilisierung bestenfalls werden könnte, verschwindet das einzige praktische Verhandlungsangebot, auf das sich die EG auf Bonner Drängen geeinigt hat: freiwillige Beiträge für einen Topf zur Förderung der Rohstoffvermarktung. Selbst das ist den USA schon zu viel Marktinterventionismus. Die Bonner Ministeriablen sehen sich auch von Japan in Mißkredit gebracht. Japan geht bei UNCTAD VII damit hausieren, 30 Milliarden Dollar ihrer Leistungsbi lanzüberschüsse zur „Schuldenerleichterung“ der Entwicklungsländer „recyclen“ zu wollen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich das Recycling–Angebot als geschickter Schachzug zur langfristigen Markteroberung in den Schuldnerländern. Zu einem solchen Marshall–Kaliber kann sich eine klein–karierte Bundesregierung nicht aufschwingen. Man habe ja schon den ärmsten Entwicklungsländern 500 Mio. DM (ein Prozent des japanischen Recycling–Angebots) nachgelassen, was über 50 Schuldenstreichung aller Gläubigerländer sei, protzte der Minister in Genf. Neu bei UNCTAD VII ist die verbreitete Absicht, nicht wie bei den vorangegangenen Konferenzen eine Vielzahl von unverbindlichen Resolutionen mühsam auszuhandeln. In vier Arbeitsgruppen sollen praktische Vorschläge ausgearbeitet werden zu den Themen: 1. Ressourcen für die Entwicklungsländer, was das Verschuldungsproblem mit erfaßt, 2. Rohstoffe, 3. internationale Handelsfragen und 4. die Probleme der ärmsten Entwicklungsländer. Die westlichen Industrieländer haben bei UNCTAD VII ihren ordnungspolitischen Druck auf die Entwicklungsländer beträchtlich verstärkt. Für die entwicklungspolitische Rhetorik gab es in den siebziger Jahren noch eine Schallmauer. Es hieß, man wolle mit Entwicklungshilfe keinen Ideologie– und Systemexport betreiben. Heute wird unumwunden der ideologische Kotau gefordert. In die Tagesordnung von UNCTAD VII wurde eine allgemeine Auflage untergebracht, die Konferenz solle der Rolle der privaten Wirtschaft „gebührende“ Rechnung zollen. Vor Beginn der Konfrenz müsse eine gemeinsame Bewertung der weltwirtschaftlichen Lage erarbeitet werden. Eine Einigung darüber verhindern die Positionen der Bundesregierung, sie kritisiert an der Analyse des UNCTAD–Sekretariats, der sich die Entwicklungsländer in ihrer Havanna–Deklaration im wesentlichen angeschlossen haben: - die Krisenbeschreibung des UNCTAD–Sekretariats sei Schwarzmalerei. Seit fünf Jahren gebe es wirtschaftliches Wachstum. Wo das stattgefunden hat, nämlich fast ausschließlich in den Industrieländern, wird in den Bonner Positionspapieren schon nicht mehr erwähnt. - den UNCTAD–Analytikern wird „Eindimensionalität“ vorgeworfen, sie würden nicht anerkennen, daß die eigentliche Ursache der Misere der Entwicklungsländer im Dirigismus liege. Die westlichen Marktfanatiker machen in Genf einen so verbohrten Eindruck, daß sie es möglicherweise verschlafen werden, wenn die Nuss geknackt ist, wozu es bei UNCTAD VII viele Anzeichen gibt. „Ein Land nach dem anderen“ würde von „rigiden“ Wirtschaftssystemen Abschied nehmen - „teils aus Notwendigkeit, teils aus Verzweiflung“, stellte der Weltbankpräsident Barber Conable jr. mit sichtlicher Genugtuung in Genf fest. Für den weiteren Verlauf der Konferenz wird es entscheidend sein, inwieweit die westlichen Industrieländer den Beurteilungsstreit in die Arbeitsgruppen zu den eigentlichen Konferenzthemen tragen werden, um praktische Ergebnisse zu verhindern.