Chile will Kohl Todeskandidaten überantworten

■ Chiles Außenminister: Santiago würde einem Drängen Bonns auf Ausreisegenehmigung nachgeben

Berlin (taz) - Die Militärjunta in Santiago ist grundsätzlich bereit, die 14 zum Tode verurteilten Chilenen in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen. Die Regierung in Bonn müsse aber ausdrücklich darum nachsuchen. Mit dieser über die britische Nachrichtenagentur Reuter verbreiteten Erkärung reagierte der chilenische Außenminister Jaime del Valle am Freitag in Santiago auf die in der Bundesrepublik geführte Debatte um das Schicksal der Todeskandidaten, die in Chile bereits auf Resonanz stieß. Den chilenischen Behörden liege bisher kein Aufnahmeantrag aus Bonn vor, so del Valle. Die Angeklagten unterstünden der chilenischen Justiz und eine Begnadigung sei erst nach einem letztinstanzlichen Urteil möglich, sagte der Zivilist aus der Pinochet– Regierung über die juristische Situation. Er würde aber einem Drängen der Bundesrepublik nachgeben und die 14 ausreisen lassen. Mit diesem Signal an die deutsche Öffentlichkeit legt der chilenische Außenminister das weitere Schicksal der Verurteilten offensichtlich in die Hände der Kohl– Regierung. Fortsetzung auf Seite 2 Ein Sprecher des Auswärtigen Amts erklärte der taz dazu auf Nachfrage, man habe die deutsche Botschaft in Santiago angewiesen, der Sache nachzugehen. In seiner Dankesrede zur Verleihung der Thomas–Morus–Medaille sagte Bundesarbeitsminister Blüm am Sonntag vor der katholisch geprägten Akademiker– Gesellschaft in Bonn, das Naturrecht des Menschen verpflichte zum Kampf gegen die Folter. Die Folter an Gefangenen in Chile lasse jede Beweisführung vermissen. „Länder, die foltern, scheiden aus der Gemeinschaft der freien Staaten aus.“ Etwa hundert politische Häftlinge in verschiedenen chilenischen Gefängnissen traten am Wochenende aus Solidarität mit den 14 Todeskandidaten in einen Hungerstreik. Sie prostestieren gleichzeitig gegen die Erschießung von zwölf Menschen bei einer Razzia in Santiago. Die Getöteten waren von den Militärs als Mitglieder der „Patriotischen Front Manuel Rodriguez“ bezeichnet worden waren. Mit ihrer kollektiven Nahrungsverweigerung wollen die Gefangenen die Forderung der Opposition nach einer Untersuchung des Vorfalls durch einen unabhängigen Richter unterstützen. Die Chile–Solidaritäts–Komitees in der Bundesrepublik haben wiederholt darauf hingewiesen, daß nach einer Verurteilung der 14 die Hinrichtungen innerhalb von fünf Tagen vollstreckt werden könnten. Deshalb sei es notwendig, unterstrichen die Kenner der chilenischen Verhältnisse, daß zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs bereits ein offizieller Aufnahmeantrag vorläge. Das Revisionsverfahren gegen Carlos Grazia Herrera hat in der vergangenen Woche begonnen. Er ist der Beteiligung an einem Attentat auf den Militärgouverneur beschuldigt worden. Alle angeblichen Beweise für eine Tatbeteiligung beruhen auf Unterschriften unter „Geständnissen“, die unter der Folter erzwungen und später widerrufen worden waren. Nach chilenischem Recht ist es möglich, die Todesstrafe nach der Verurteilung in eine Verbannung umzuwandeln. Durch die „Sicherheitsbedenken“ Innenminister Zimmermanns, der eine Einreise der Chilenen ablehnt, wurde die Entscheidung über ein Aufnahmeersuchen in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett vertagt und durch den Auftrag Kohls an die zuständigen Minister, weiteres Material vorzulegen, weiter in der Schwebe gehalten. Die unterschiedliche Berurteilung der politischen Situation in Chile drohte zwischen Außenminister Genscher (FDP) und Innenminister Zimmermann (CSU) einen neuen Koalitionsstreit zu entfachen. Kuno Kruse Ältester politischer Gefangener darf nach Dänemark Santiago (afp) - Der älteste politische Gefangene Chiles darf in den nächsten Tagen nach Dänemark ausreisen. Wie die Anwälte des heute 78jährigen Alfonso Ogalde am Samstag mitteilten, hat die Regierung ihren Mandanten nach neunjähriger Haft zur Verbannung begnadigt. Ogalde, der dem Freundeskreis des 1973 von den Militärs ermordeten Präsidenten Salvador Allende angehörte, ist seit 1985 im Besitz einer dänischen Aufenthaltsgenehmigung.