Atomwaffen: Die Wende bei SIPRI

■ Das Friedensforschungsinstitut SIPRI beurteilt die Abschaffung der Atomwaffen plötzlich skeptisch

Von J. Gottschlich

Berlin (taz) - Eines der renommiertesten internationalen Friedensforschungsinstitute, das vom schwedischen Parlament finanzierte SIPRI, hat in seinem diesjährigen Jahrbuch erstmals bezweifelt, daß es sinnvoll sei, Atomwaffen insgesamt abzuschaffen. Diese für das Institut neue Position ist in der schwedischen Öffentlichkeit auf große Resonanz gestoßen. Übereinstimmend führen schwedische Kommentatoren die Wende auf den Wechsel in der Leitung des Instituts zurück: An dessen Spitze trat im letzten Herbst der bundesdeutsche Sozialdemokrat Walter Stützle. In der Regierung Schmidt Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium, gehört Stützle bis heute zu den überzeugten Verfechtern des NATO–Doppelbeschlusses und bekennt sich zur Schmidtschen Sicherheitsphilosophie. Seine Berufung als Leiter des SIPRI–Instituts kam auf Vorschlag des Vorstandsmitgliedes Egon Bahr zustande. Gegen den Widerstand der Mehrheit der Institutsmitarbeiter wurde Stützle durchgedrückt, da sich auch die schwedische Regierung für ihn stark machte; sie versprach sich durch seine Berufung eine Aufwertung des Instituts in den Augen der USA. Auch ein aus der DDR kommendes Vorstandsmitglied stimmte der Berufung Stützles zu - nach eigenem Bekunden im Parteiauftrag. Stützle selbst hat der Interpretation des Jahrbuchs widersprochen, nach der SIPRI nun gegen die Abschaffung der Atomwaffen sei. Fortsetzung auf Seite 6 Stützle erklärte, er habe lediglich darauf hingewiesen, daß man zum jetzigen Zeitpunkt nicht wisse, ob eine atomwaffenfreie Welt tatsächlich mehr Stabilität bedeute. SIPRI wolle sich dieser Frage stellen. Bis sie beantwortet sei, solle man aber lieber ein kleines Kontingent Atomwaffen behalten. Über diese durch das Vorwort des Berichts aufgeworfene Kontroverse hinaus zieht das Jahrbuch eine deprimierende Bilanz des von der UN zum Jahr des Friedens erklärten 1986. Stockholm (afp) - Zum Jahresende waren weltweit rund fünf Millionen Kämpfer aus 41 Nationen in insgesamt 36 Kriege und bewaffnete Konflikte verwickelt. Nach dem in Stockholm veröffentlichten 18. Jahrbuch des Internationalen Friedensforschungs–Instituts (SIPRI) zur weltweiten Rüstung wurden seit Beginn dieser Kriege wenigstens drei Millionen Menschen getötet. 53 Länder haben in der Zeit zwischen 1980 und 1986 allein die beiden in den Golfkrieg verwickelten Parteien Iran und Irak mit Waffen beliefert oder unterstützt, 13 mehr als in den drei vorausgegangenen Jahren. 28 von ihnen ließen ihre „Hilfe“ unterschiedslos beiden Ländern zuteil werden, darunter neben den beiden Supermächten und Frankreich auch die BRD, die DDR, Österreich, Schweden, die Schweiz und Großbritannien. Die wichtigsten Waffenexporteure blieben auch 1986 die USA mit 33,3 Prozent der gesamten Waffenexporte, gefolgt von der Sowjetunion mit 31,4 Prozent und Frankreich mit 13,3 Prozent. Die Bundesrepublik konnte zwar „nur“ 2,8 Prozent der Waffenverkäufe auf ihr Konto verbuchen, liegt damit aber bereits an sechster Stelle weltweit, nach Großbritannien und der Volksrepublik China. Die beiden Supermächte exportierten aber in den vergangenen fünf Jahren immerhin deutlich weniger Waffen in die Dritte Welt als noch im vorherigen Fünfjahreszeitraum. Mit Ausnahme des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland, der nach Angaben von SIPRI seit seinem Beginn bereits 2.500 Opfer forderte, tragen sich alle im vergangenen Jahr begonnenen oder fortgesetzten Kriege und Konflikte in den Ländern der Dritten Welt zu. Das Institut führt in seinem 18. Jahresbericht insgesamt vier solcher Konflikte in Südasien, acht im Fernen Osten, sechs im Nahen Osten, elf in Afrika und sechs in Lateinamerika an. Die meisten werden von Guerillas gegen ihre jeweiligen Regierungen geführt, lediglich im Golfkrieg - der bereits mehr Menschenleben kostete als alle israelisch–arabischen Kriege zusammen - standen sich 1986 Truppen zweier Staaten gegenüber. Im einzelnen exportierte Washington im vergangenen Jahr Waffen für 10,462 Milliarden Dollar (33,3 Prozent der Gesamtexporte), Moskaus Exporte beliefen sich auf 9,881 Milliarden Dollar (31,4 Prozent). Auf den nachfolgenden Rängen erscheinen in der Reihenfolge: Frankreich mit 4,196 Milliarden (13,3 Prozent), Großbritannien mit 1,947 Milliarden (6,2 Prozent), die Volksrepublik China mit 1,208 Milliarden (3,8 Prozent), die BRD mit 870 Millionen (2,8 Prozent), die Länder der Dritten Welt mit 772 Millionen (2,4 Prozent) und Italien mit 327 Millionen (ein Prozent).