Vorsicht: Einstürzende Lügengebäude

■ Aus den Trümmern der Irangate–Affaire schält sich die nächste Phase der US–Politik / Demokratische Möchte–Gern–Kandidaten auf aussichtslosem Posten Der Reigen der Polit–Frankensteins vor dem Untersuchungsausschuß gibt seltene Einblicke in die Machenschaften der US–Nebenregierung

Aus Washington Stefan Schaaf

„Guten Abend, meine Damen und Herren! Dies sind die CBS– Abendnachrichten vom 25. Januar 1989. Fünf Tage nach seiner Vereidigung als 41. Präsident der Vereinigten Staaten hat Mario Cuomo heute verkündet, daß er die wegen des Irangate–Skandals zu Haftstrafen verurteilten Mitglieder der Reagan–Administration nicht begnadigen wird. Diese Entscheidung bedeutet, daß Oliver North, ein Oberstleutnant und ehemaliger Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates, noch mindestens bis Juli 1990 im Gefängnis bleiben wird. Der ehemalige Sicherheitsberater Poindexter und der frühere Lateinamerika– Staatssekretär Elliott Abrams können dagegen damit rechnen, Ende dieses Jahres aus der Haft entlassen zu werden...“ Am folgenden Morgen liefert die Washington Post eine Zusammenfassung der Ereignisse zwischen dem Sommer 1987, als die Irangate–Anhörungen im Kongreß der amerikanischen Öffentlichkeit einen schockierenden Einblick in die Geheimoperationen der Reagan–Administration boten, und dem November des folgenden Jahres, als die Republikaner nach acht Jahren im Weißen Haus die Präsidentschaftswahlen haushoch verloren hatten. Die Hearings hatten ergeben, daß Reagan die amerikanische Öffentlichkeit in eklatanter Weise belogen hatte, denn er war sehr genau über die Tatsache informiert gewesen, daß die Profite aus dem Waffen– gegen–Geiseln–Deal mit dem Iran an die antisandinistischen Contras geflossen waren. Nachdem Admiral Poindexter dem Untersuchungsausschuß ein Tonband mit einer entsprechenden Unterhaltung präsentiert hatte, mußte Reagan aus dem Urlaub in Kalifornien zurückkehren und eine extrem peinliche Pressekonferenz über sich ergehen lassen. Einige Abgeordnete waren über Reagans Verhalten so erzürnt, daß sie vom Justizausschuß des Repräsentantenhauses die Einleitung eines Impeachment–Verfahrens verlangten. Sie begründeten dies mit dem Verdacht, Reagan habe seine verfassungsmäßige Pflicht, die Gesetze des Landes zu achten, verletzt. Der Ausschuß lehnte dies mit knapper Mehrheit ab. Diese Episode hatte jedoch endgültig Reagans Aktionsfähigkeit als Präsident für die verbleibenden 15 Monate seiner Amtsperiode ruiniert, gleichzeitig machte sie die Chancen seines Vizes George Bush zunichte, die Nominierung als republikanischer Präsidentschaftskandidat zu erringen. Robert Dole, der Senator aus Kansas, gewann die Nominierung mit deutlicher Mehrheit auf dem Parteikonvent in New Orleans, doch er verlor die Wahl im November, weil die Wähler der Republikaner überdrüssig waren. Die Prozesse gegen North, Secord, Poindexter und Abrams waren just in der heißesten Phase des Wahlkampfs zu Ende gegangen und hatten der Partei Reagans weiteren Schaden zugefügt. Zumindest hatte der demokratische Kandidat Cuomo, der als Überraschungssieger auf dem Parteikonvent nominiert worden war, keine Gelegenheit ausgelassen, die ethische Verkommenheit der Reagan– Clique an die Wand zu malen. Entscheidende Monate Ein politischer Tagtraum? Ja und nein; einiges davon ist bereits Realität. Er ist so wahrscheinlich wie jede andere Projektion über die politische Entwicklung in den USA in den nächsten zwölf Monaten. Sicher ist, daß es die entscheidenden Monate sind, in denen sich aus den Trümmern der Reagan– Präsidentschaft die nächste Phase amerikanischer Politik herausschälen wird. Die derzeit wichtigste offene Frage ist klar: Welche Auswirkungen wird die Irangate– Affäre auf Reagans Präsidentschaft und auf die Wahl seines Nachfolgers im nächsten Jahr haben? Eine zweite Frage sollte man dabei allerdings im Auge behalten: Werden andere Themen vielleicht am Ende wichtiger für die Wählerentscheidung sein? Man wird sich voraussichtlich für einen Präsidenten mit einer sehr unterschiedlichen Amtsauffassung entscheiden, einen Kandidaten, der die Dinge sowohl intellektuell als auch administrativ unter Kontrolle hat. Der Fortgang der Affäre wird auch die Beziehungen zwischen dem Kongreß und dem Weißen Haus bestimmen. Schon jetzt sind Ansätze einer Strategie der Konservativen um Reagan sichtbar, dem Parlament und seinen wechselnden Mehrheiten einen Gutteil der Schuld an dem politischen Schlamassel zuzuschieben. Besonders auf den Gebieten der Rüstungspolitik und der anstehenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen stehen Konfrontationen ins Haus. Viel hängt auch davon ab, ob das bisherige Feld der demokratischen Präsidentschaftsbewerber in den kommenden Monaten weiterhin nur aus „sieben Zwergen“ bestehen wird, wie das nach Gary Harts politischem Selbstmord verbliebene Feld der Möchte– Gern–Kandidaten spöttisch getauft wurde. Doch all diese Faktoren könnten zweitrangig werden, wenn die wirtschaftlichen Krisenanzeichen sich im nächsten Jahr zum Beginn einer Rezession auswachsen. Haushalts– und Handelsbilanzdefizit und die in den letzten beiden Monaten beobachteten Inflationsschübe haben bei Ökonomen bereits die roten Warnlampen aufleuchten lassen. Die Hearings: eine „Kultur des Terrors“ Seit vier Wochen schon geistern seltsame Gestalten durch die abendlichen Nachrichten. Wo sonst der Präsident oder sein Kabinett oder wenigstens Nancy dem Fernsehvolk erzählen, was es zu wissen und zu glauben hat, werden plötzlich die Männer im Schatten vorgeführt, Individuen wie aus einem billigen Spionageroman, de nen Entscheidungen über die Zukunft ganzer Regionen zugefallen waren. Die letzten beiden Wochen brachten einen besonders illustren Reigen solcher Polit–Frankensteins: erst Contra–Führer Adolfo Calero, sodann Norths Botengänger Robert Owen, schließlich General Singlaub, der vermutlich dienstälteste Kriegsverbrecher im US–Arsenal, und als Höhepunkt ein Trio von ergrauten Geldsäcken, die der Contra an die drei Millionen Dollar in den Rachen geschoben haben - aus der eigenen Tasche, versteht sich, und mit Vermittlung von Oliver North sowie freundlichem Dank von Ronald Reagan. In der letzten Woche zeigte dann der Schweinebucht– Veteran und Che–Guevara Folterer Felix Rodrigeuz, wie man den Untersuchungsausschuß mit Latino–Charme um den Finger wickelt. Nur äußerst selten hat man die Gelegenheit, die Psychologie derartiger Leute, hinter deren Identitäten linke Journalisten einst monatelang und erfolglos hinterherrecherchiert hatten, so eingehend zu studieren. Die Irangate–Hearings machen es möglich, den Biermagnaten Joseph Coors, der für seine reaktionären Ansichten und arbeitnehmerfeindlichen Geschäftspraktiken berüchtigt ist, oder eine über 80jährige Millionenerbin wie die Texanerin Ellen Garwood, die ihr Vermögen in den Dienst des weltweiten antikommunistischen Kreuzzugs gestellt hat, ins Wohnzimmer zu holen. Nur noch Schadenfreude kann man spüren, wenn sie von dem Moment berichtet, in dem sie erfuhr, daß der Fundraiser Carl Channell von ihren gestifteten Millionen 35 Prozent in die eigene Tasche gesteckt hat. Für Alexander Cockburn, den bissigen Kolumnisten der linksliberalen Wochenzeitung The Nation, steht bei den Hearings die „Terror–Kultur des Reaganismus“ zur Diskussion; er hat damit einen äußerst treffenden Begriff für das Vorgehen bei den Anhörungen geprägt. Es ist die Höflichkeit und die demonstrative Selbstsicherheit dieser Dunkelmänner, während sie dem Ausschuß Rede und Antwort stehen, die dem regelmäßigen Beobachter auffällt, und längst nicht mehr dieses oder jenes Detail über Waffen, Schecks und Mittelsmänner. Man redet von Gentleman zu Gentleman (oder Lady), im Fall der Vernehmung Singlaubs durch den erzreaktionären republikanischen Senator Orrin Hatch (Utah) gar von Patriot zu Patriot. Empörung über die Dreistigkeit, mit der die Koalition aus Reagans Unter gebenen und reaktionärer Geldaristokratie versuchten, den Geist, wenn nicht das Wort des gesetzlichen Verbots der Contra– Militärhilfe zu umschiffen, macht sich im Ausschuß nur in seltenen Momenten Luft. Reagans Rolle wird deutlicher Doch es ist gerade die Nüchternheit und das Fehlen jeglichen Pathos, das die Hearings zu einem einzigartigen, die ganze Schäbigkeit der Reagan–Doktrin enthül lenden Schauspiel macht. Wenn sich General Singlaub beklagt, daß er von Oliver North aus dem Waffenhandel mit den Contras frühzeitig ausgebootet wurde, obwohl seine Maschinenpistolen– Preise nur halb so hoch wie die von Norths Kumpel Dick Secord waren, wünscht man sich, daß die ganze Bande sich noch wochenlang gegenseitig denunzieren möge. Den Ex–General Secord, der immerhin ständig betont hatte, „keinen Cent“ am Waffengeschäft verdient zu haben, könnte diese Aussage seines Gesinnungsgenossen immerhin in den Knast bringen. Die Aussagen Robert McFarlanes haben dagegen den Rest von Glaubwürdigkeit, über den das Weiße Haus in der Affäre noch verfügte, dahinschmelzen lassen. Präsident Reagan war wesentlich stärker in den Skandal verstrickt, als er zuvor zugegeben hatte. Er hatte Anteil an der Beschaffung einer 35–Millionen– Spende des saudischen Königshauses, er billigte einen Plan, die Geiseln für eine Million pro Nase von ihren libanesischen Entführern freizukaufen und übte Druck auf den honduranischen Präsidenten aus, als der eine Ladung Waffen an die Contras festhalten wollte. Inzwischen wiederholt sich das gleiche demütigende Schauspiel, das man bereits im November erlebt hatte: den zentimeterweisen Rückzug Ronald Reagans aus einem bröckelnden Lügengebäude. Sein Stabschef Howard Baker war sich vor zwei Wochen nicht zu blöde, in einem Fernsehinterview zu behaupten, man habe kein Lösegeld an die Entführer, sondern Bestechungssummen an deren Bewacher und an die Kontrollposten auf der Strecke in die Freiheit zahlen wollen - und das sei doch ein „fundamentaler“ Unterschied. Reaktionäre Taschenspielertricks Genausowenig überzeugend nimmt sich die zweite, generellere Fluchtstrategie der Administration aus, die besagt, daß es zwar der CIA und anderen Regierungsabteilungen vom Kongreß durch das sogenannte „Boland Amendment“ verboten war, die Contras militärisch zu unterstützen, daß dieses Verbot jedoch nicht den Präsidenten und wohl auch nicht den Nationalen Sicherheitsrat beträfe. Hilfestellung erhielt Reagan hierbei von den Contra–Unterstützern aus dem Kongreß, die auf die traditionelle Richtlinienkompetenz des Präsidenten in außenpolitischen Fragen pochen. Der Kongreß habe mit seinen wechselnden Beschlüssen über Contra– Hilfen ein Paradebeispiel einer inkonsequenten Politik geliefert und darüber hinaus dem Präsidenten die Hände gebunden. Das „Boland–Amendment“, in Kraft von 1984 bis zum letzten Herbst, sei deswegen möglicherweise verfassungswidrig. Verschwiegen wird dabei jedoch regelmäßig, daß die ungezählten Abstimmungen im Kongreß auf die Beharrlichkeit des Weißen Hauses zurückgehen, welches ein negatives Votum schlicht nicht hinnehmen wollte. Die Strategie, den Konflikt um die Contra–Finanzierung zu einem Verfassungsstreit um die Befugnisse des Präsidenten zu eskalieren, könnte aufgehen und ihm zumindest Zeit gewinnen - doch sie riecht nach Watergate und weckt Erinnerungen an Richard Nixon, der seine Tonbänder nicht freigeben wollte, weil er dies eines Präsidenten unwürdig empfand. Wie der Kolumnist Haynes Johnson bemerkte, macht sich Reagan mit seiner Argumentation allerdings einer ungleich schwerwiegenderen Anmaßung schuldig als einst Nixon. Der Kongreß wird sich gegen derlei Eingriffe in seine Befugnisse zur Wehr setzen, und es darf als sicher gelten, daß die Konfrontation nicht auf die Irangate– Affäre beschränkt bleiben wird. Der Streit um die Auslegung des ABM–Vertrags über Raketenabwehrwaffen, von dessen Ausgang der Fortgang des SDI–Programms abhängt, sorgt seit Wochen für heftige Debatten im Senat. Das Repräsentantenhaus hat in dieser Frage kürzlich ein Zeichen gesetzt, als es statt der geforderten 5,7 Milliarden Dollar nur 3,1 Milliarden für das SDI–Programm im Haushaltsjahr 1988 bewilligte. Kopflose Opposition Man sollte denken, daß für die in Opposition zum Weißen Haus stehenden Demokraten goldene Zeiten anbrechen und sie sich ihres Sieges bei den Wahlen im November nächsten Jahres sicher sein können. Doch leider treibt der liberale Haufen derzeit recht ruderlos über den politischen Sumpf. Noch sind die Wunden nicht verheilt, die der Absturz ihres „frontrunners“ Gary Hart gerissen hat, und es hat dem Gesundungsprozeß nicht geholfen, daß neue Fotos vom flotten Gary mit seiner blonden Freundin auf dem Schoß von den Zeitungsständen winkten. Nur eine allenfalls zweitrangige Politikergarnitur äußert derzeit das Bedürfnis, für die Demokraten ins Weiße Haus einzuziehen. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß die politische Kultur der USA nicht nur den raschen Knockout, sondern auch den kometenhaften Aufstieg fördert. Der Übergang in die neunziger Jahre wird für den nächsten großen Steuermann der USA jedoch kein Zuckerschlecken werden. Irgendwann in den nächsten zwei, drei Jahren könnte der ökonomische Balanceakt der Reaganomics mit einem großen Krach auf dem Zirkusboden landen und Reagans Nachfolger zwingen, den Realitäten von Handelsbilanz– und Budgetdefizit - einer leergekratzten Staatskasse - ins Auge zu schauen. Das Pentagon müßte dann tatsächlich Benefizkonzerte abhalten, um wenigstens Übungsmunition kaufen zu können. Doch die ökonomisch deklassierte Unterschicht sähe gleichzeitig die letzten Wohlfahrtsprogramme dahinschwinden, während die Steuerlast drastisch anstiege. Vielleicht muß Reagans Nachfolger dann nochmal bei den Saudis anklopfen. Die sollen immer ein paar Millionen übrig haben.