15.000 Schmarotzer vor dem Landtag

■ In ganz Niedersachsen weiten sich die Studentenproteste aus / 15.000 Demonstranten umlagerten den Landtag in Hannover / Ministerpräsident Albrecht hält an der Einführung von Studiengebühren fest

Von J. Voges u. R. Paul

Hannover/Göttingen (taz) - Rund 15.000 protestierende Studenten haben gestern in Hannover den Sitz des Niedersächsischen Landtages regelrecht umlagert. In dem Gebäude lief auf einer Sondersitzung die Debatte über die Sparbeschlüsse der Landesregierung. Obwohl die Polizei eine größere Zahl von Hunderschaften im Einsatz hatte, kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen, während das Landesparlament über den Auslöser des Protestes debattierte: die Kürzungen an den Hochschulen und die Einführung von Studiengebühren. Die Sondersitzung des Landtages mußte gleich zu Beginn unterbrochen werden: Auf der Tribüne stimmten Studenten Sprechchöre an, entrollten ein Transparent (“Universitäten zahlen die Diäten“) und warfen 500–Mark– Scheine mit dem Konterfei Ernst Albrechts in den Plenarsaal. Die Geldscheinkopien zierte die Aufschrift „Niedersächsischer Studentenausweis - Gültig ein Semester“. Ernst Albrecht will trotz der Proteste an der Studiengebühr für sogenannte „Langzeitstudenten“ festhalten, auch wenn sie jetzt erst ein Semester später, im Sommer 1988, eingeführt werden soll. Es bleibe bei der Regel, so sagte der Ministerpräsident in der Son dersitzung, daß ein Student, der die BAFöG–Höchstförderungsdauer um drei Semester überschritten habe, Studiengebühren in Höhe von 500 DM zahlen solle. Die Universitäten müßten außerdem 3,5 Prozent aller Lebenszeitstellen einsparen. Zudem sollen die Sachmittel, so bestätigte die Landesregierung gestern, im Bereich Wissenschaft und Kunst 1988 um 35 Millionen Mark gekürzt werden. Während SPD und Grüne in der Debatte die Rücknahme der Einsparungen an den Hochschulen verlangten, beschimpfte der CDU–Fraktionsvorsitzende Stock die protestierenden Studenten als „Schmarotzer, die auf Kosten der anderen leben“. Vorgestern hatten in ganz Niedersachsen über 40.000 Studenten demonstriert. Im unbefristeten Streik befinden sich nach Auskunft des AStA in Hannover zur Zeit die Hochschulen in Braunschweig, Hannover, Emden, Göttingen, Nienburg, Wilhelmshaven und die Fachhochschule Oldenburg. An weiteren vier Hochschulen soll demnächst ein „aktiver Streik“ beginnen. Aber auch an den meisten anderen Hochschulen haben bereits Aktions– und Streiktage stattgefunden. In Göttingen haben die seit Montag streikenden Studenten ihre Aktivitäten ausgeweitet. Am Mittwoch nachmittag beschlossen die 4.000 Teilnehmer einer UniVollversammlung mit großer Mehrheit die Verlängerung des Ausstandes bis einschließlich Montag. Dem Antrag, die Streik– und Blockadeaktionen als Antwort auf das Verschließen von Räumen seitens der Uni–Leitung auch auf die Verwaltungsgebäude auszudehnen, stimmten rund zwei Drittel der Anwesenden zu. Außerdem wurde beschlossen, den Protest gegen die Sparmaßnahmen der Landesregierung in die in der kommenden Woche beginnenden Feierlichkeiten anläßlich des 250. Geburtstages der Uni hineinzutragen. Im Anschluß an die Uni–VV formierten sich 16–18.000 Menschen zu der seit Jahrzehnten größten Demonstration der Stadt.