Metall: 35 Stunden oder fünf Millionen Arbeitslose

■ Jörg Huffschmid von der Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ analysiert für die taz die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Arbeitskämpfe 1984 und heute 60 Milliarden DM, die die 35–Stunden–Woche kosten würde, entsprechen den Gewinnen, die in den letzten fünf Jahren nicht investiert, sondern angehäuft wurden

Die Unternehmer haben schon einmal den großen Knüppel vorgezeigt: Kaum waren in Baden– Württemberg die verhandlungsbegleitenden Warnstreiks der IG Metall angelaufen, kündigte die Geschäftsführung von Daimler Benz in Bremen Kurzarbeit an. So soll es in den nächsten Wochen werden: Immer, wenn im Süden zehn– oder zwanzigtausend Metaller für die Durchsetzung der 35–Stunden–Woche streiken, fliegen in der ganzen Republik ein paar Hunderttausend Beschäftigte auf die Straße. Diese „kalte“ Aussperrung war auch schon im Arbeitskampf 1984 praktiziert worden. Damals hatten die Betroffenen jedoch Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt erhalten. Ihre Verluste hielten sich in Grenzen. Der Erfolg der Gesamtmetall–Strategie war geringer als die öffentliche Empörung darüber. Die Unternehmer haben hieraus die Lehre gezogen und das Arbeitsförderungsgesetz ändern lassen. In diesem Jahr werden alle kalt Ausgesperrten keinen Pfennig bekommen. Durch diesen Rechtsdruck ist die Waffe der Aussperrung noch schärfer, sind die Kampfbedingungen für die Gewerkschaften erheblich schlechter geworden. Die Unternehmer haben noch eine Lehre aus den damaligen Kämpfen gezogen. Die waren für sie insgesamt unbefriedigend ausgegangen, weil das sture 40–Stunden–Tabu nicht gehalten werden konnte. Das hatte zu einem erheblichen Gesichtsverlust geführt. Die Ziele von Gesamtmetall in dieser Tarifrunde sind zwar nicht weniger brutal als 1984. Aber es sind qualitativ andere Ziele: Es kommt den Unternehmen jetzt nicht auf eine halbe Stunde - oder vermutlich auch nicht auf eine ganze oder sogar anderthalb Stunden - Arbeitszeitverkürzung an. Die Hauptangriffslinie heißt Flexibilisierung. Die Beschäftigten sollen in Gottes Namen ihre Arbeitszeitverkürzung erhalten, natürlich nur einen Bruchteil von dem, was sie fordern. Hauptsache ist, daß der Unternehmer bestimmt, wann und wie die insgesamt verkürzte Arbeit im Betrieb eingesetzt wird: Weg mit allen starren Regelungen, die die innerbetriebliche Arbeitszeitregelung betreffen! Weg mit dem freien Samstag, am besten auch noch dem freien Sonntag! Weg mit der Festschreibung des 8–Stunden– Tages - oder gar des 7–Stunden– Tages! - und der lästigen Pflicht, für jede Überstunde die Zustimmung des Betriebsrates einholen und Überstundenzuschläge zahlen zu müssen. Kurz: Weg mit allen tarifvertraglichen Bindungen! Stattdessen her mit der vollen Zeitsouveränität - des Unternehmers über die Zeit des Arbeitnehmers, versteht sich. Die Gewerkschaften stehen also unter erheblichem politischen Druck. Und sie stehen unter ökonomischem Druck. Denn die Konjunktur ist mittlerweile in den Abschwung übergegangen. Die Perspektive von fünf Millionen Arbeitslosen Ende 1988 ist sicher ein Alptraum. Sie ist aber realistisch - wenn nichts Entscheidendes geschieht. Ebenso realistisch wie die Perspektive von sieben Millionen Arbeitslosen in den neunziger Jahren. Welche neuen Waffen stehen den Gewerkschaften in diesem Kampf zu Verfügung? Es sind im wesentlichen die Erfahrungen des vergangenen. Zum einen haben die Gewerkschaften 1984 unter Beweis gestellt, daß eine noch so militante Koalition aus Unternehmerverbänden, Bundesregierung und dem größten Teil der öffentlichen Medien nicht unüberwindbar ist. Gesamtmetall hatte im berühmten „Tabukatalog“ festgeschrieben, daß über eine Arbeitszeit von weniger als 40 Stunden nicht einmal verhandelt werden dürfe. Am Ende wurde nicht nur verhandelt, es mußten sogar materielle Zugeständnisse gemacht werden. Das war ein außerordentlich wichtiger politischer Durchbruch für die Gewerkschaften. Er hatte positive Folgen für das Bewußtsein und die Kampfbereitschaft der Mitglieder und Belegschaften. Was damals für viele nur unsichere Hoffnung war, ist heute sichere Erfahrung: Es ist möglich, durch einheitliches Handeln auch gegen einen übermächtig erscheinenden Gegner durchzukommen. Daran können die Gewerkschaften heute anknüpfen. Noch etwas ist heute gesicherte Erfahrung: Arbeitszeitverkürzung bringt auch materiell etwas. Das hat sich in den Betrieben unmittelbar gezeigt. Es läßt sich auch statistisch nachweisen: Die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden in der BRD ist von 1984 bis 1986 um rund ein Prozent gesunken, weil der Anstieg der Produktion insgesamt mit fünf Prozent schächer war als die Steigerung der Stundenleistung (plus sechs Prozent). Die Zahl der Arbeitskräfte hat aber nicht abgenommen, sondern um rund 420.000 zugenommen. Dies ist allein auf die verschiedenen Formen der Arbeitszeitverkürzung zurückzuführen. Dabei hat die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit eine maßgebliche Rolle gespielt. Es gibt nach wie vor keine Alternative zur 35–Stunden–Woche, wenn die Massenarbeitslosigkeit nachhaltig abgebaut werden soll. Ihre Einführung würde - auch wenn der rechnerische Effekt in Höhe von 2,8 Mio. nicht voll durchgesetzt würde - Arbeitsplätze in einer Größenordnung von rund zwei Mio. schaffen oder sichern. Sie kostet rund 60 Mrd. DM. Das entspricht dem Teil der Gewinne, den die Unternehmen in den letzten fünf Jahren nicht investiert, sondern als Geldvermögen angehäuft haben. Die positiven Erfahrung im Rücken und die drohende Katastrophe vor Augen - den Gewerkschaften bleibt keine vernünftige Wahl außer der: den Kampf durchzustehen und zu gewinnen. Die Höhe der Arbeitslosigkeit entscheidet aber auch über das politische Klima in der Gesellschaft. Daher gibt es für alle, die an der Erweiterung dmeokratischer Handlungsmöglichkeiten interessiert sind, keine andere vernünftige Wahl als die: Solidarität nicht nur zu empfinden, sondern zu organisieren.