Vietnams Truppen sollen Kambodscha verlassen

■ Wie schon in Afghanistan mehren sich die Anzeichen dafür, daß die UdSSR auf eine Lösung des Kambodscha–Problems drängt / Schewardnadse war in Südostasien

Von J. Berger und E. Knappe

Als der sowjetische Außenminister Schewardnadse am Donnerstag eine für den Abend angesetzte Fernsehrede im vietnamesischen Fernsehen absagte, schwiegen sich Sowjets und Vietnamesen über die Gründe aus. Auch der für den Nachmittag vorgesehene Besuch im Revolutionsmuseum von Hanoi wurde gestrichen. Gibt es Knatsch zwischen den beiden asiatischen Verbündeten? „Die Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen und das Verhältnis der sowjetischen Verbündeten in Ostasien zu China“ waren am Donnerstag vormittag noch das Thema eines Gesprächs zwischen dem Parteichef Nguyen Van Linh und dem sowjetischen Besucher. Am Vortag hatte Schewardnadse in einem Gespräch mit Außenminister Nguyen Co Thach konferiert und in bezug auf die Verbesserung der Beziehungen zum großen Nachbarn „Übereinstimmung“ erzielt. Daß es zwischen den beiden Ländern aber Differenzen darüber gibt, wann und zu welchen Bedingungen die Beziehungen für Vietnam zum „Erzfeind“ China verbessert werden können, ist kein Geheimnis. Und daß in diesem Zusammenhang der Abzug der vietnamesischen Truppen in Kambodscha vorausgesetzt wird, hat China in den letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht. In seiner programmatischen Rede von Wladiwostok hat KPdSU–Generalsekretär Gorbatschow im Juli 1986 eine dynamischere Asienpolitik und vor allem die Bemühungen zur Verbesserung der Beziehungen mit der VR angekündigt. Und vor dem Moskauer Friedensforum Mitte Februar erklärte er „Indochina“ zu den Konfliktherden, die dringend einer Lösung bedürften. Außenminister Schewardnadse fiel auf seiner Reise nach Australien, Indonesien, Thailand, Laos, Kambodscha - Vietnam bildete den Abschluß - die Aufgabe zu, die Möglichkeiten hierfür zu erkunden. Doch solange in Kambodscha immer noch der Bürgerkrieg tobt, solange die Vietnamesen dort große Truppenkontingente unterhalten, solange ist eine Verbesserung der Beziehungen der Sowjetunion zu den meisten südostasiatischen Ländern getrübt. Denn beharrlich halten neben China auch die ASEAN–Mitglieder Indonesien, Thailand, Malaysia, Philippinen, Singapur und Brunei an ihrem Standpunkt fest: Hanoi muß erst einmal seine 140.000 Mann aus Kambodscha zurückziehen, bevor an eine Verbesserung der Beziehungen gedacht werden kann. Denn ohne ihre massive Wirtschafts– und Militärhilfe hätte Vietnam 1978 nicht die Risiken einer Invasion in Kambodscha eingehen können. Aus Furcht vor einer Einkreisung vertrieben 1978/79 vietnamesische Truppen die von China unterstützte Fraktion der Roten Khmer unter Pol Pot, die während ihrer Herrschaft Millionen Menschen ermordet hatten. Von der kambodschanischen Bevölkerung als Befreier begrüßt, installierten die Vietnamesen eine neue Regierung unter Heng Samrin, der zuvor auch Funktionär der Khmer Rouge gewesen war. In der Folgezeit hat das neue Regime vieles von seinem Ruf eingebüßt und auch die Vietnamesen verspielten mit ihrem Auftreten als Besatzungsmacht manche Sympathie. So konnte die Guerilla von Restgruppen der Roten Khmer und anderer Organisationen anhaltenden militärischen Widerstand leisten. Doch vor allem für die außenpolitischen Beziehungen auch der Sowjetunion im pazifisch– ostasiatischen Raum hatte die Besetzung Kambodschas durch Vietnam anhaltend negative Folgen: Die UdSSR büßte wegen Kambodscha ihren Handlungsspielraum in dieser weltpolitisch immer wichtiger werdenden Region ein. Es ist es nicht verwunderlich, daß nach der Rede Gorbatschows in Wladiwostok der sowjetische Druck auf Vietnam zu wachsen begann. Zwar darf es nach außen nicht so erscheinen, als ließe man den Bündnispartner fallen, doch unter Anmahnung einer effektiveren Verwendung ihrer Wirtschaftshilfe für Vietnam (die immerhin acht bis neun Milliarden Rubel umfaßt) zeigt Moskau die neue Richtung an. Und auch die seit dem Parteitag im De zember herrschenden Reformer unter Generalsekretär Linh kommen mit ihrer innen– und wirtschaftspolitischen Reformpolitik besser voran als es vorher für denkbar gehalten wurde. Die Aussicht auf Kapitalzufluß und von technologischem Know–how aus dem kapitalistischen Ausland soll - so das Kalkül der Reformer und der Sowjets - auch den Gegnern den Abzug schmackhaft machen. In Laos und in Kambodscha selbst versuchte Schewardnadse die Weichen in Richtung auf eine Friedensregelung zu stellen. Die deutlichste Positionsveränderung ist in Phnom Penh zu registrieren. Die Regierung Heng Samrin erklärte sich bereit, direkt mit ihrer Gegenspielerin, der „Koalitionsregierung des Demokratischen Kampuchea“, deren Präsident Prinz Sihanouk ist, zu verhandeln. Und da in dieser Koalition neben der Gruppierung um den Prinzen und der KPNLF von Son Sann auch die Roten Khmer sitzen, mit der die Regierung bisher keines wegs verhandeln wollte, kommt diese Ankündigung einem Durchbruch gleich. Nach den Erfahrungen mit der Schreckensherrschaft der Khmer Rouge und Pol Pots will niemand dieser Gruppierung - nur die Chinesen unterstützten sie - ernsthaft den Weg zurück zur Macht ebnen. Deshalb tritt die südostasiatische Staatengemeinschaft ASEAN für Wahlen unmittelbar nach Abzug der Vietnamesen ein, aus denen ihre Favoriten Son Sann oder Prinz Sihanouk als Sieger hervorgehen sollen. Khmer Rouge am Verhandlungstisch In der jetzigen Situation sind die Khmer Rouge immer noch ein politischer Faktor, weil sie militärisch bei weitem die bedeutendste anti–vietnamesische Widerstandsorganisation formieren und damit aus der Koalition unter Prinz Sihanouk nicht wegzudenken sind. Immerhin wurde auch hier ein Zeichen gesetzt: Seit Dezember ist Pol Pot öffentlich nicht mehr aufgetreten, doch gibt es klare Hinweise darauf, daß er und seine Leute immer noch bei den Khmer Rouge die Fäden ziehen. Die Widerstandsorganisationen rekrutieren die meisten ihrer Kämpfer aus Flüchtlingslagern auf thailändischem Boden, in denen immerhin 350.000 Menschen leben. Da sie von internationalen Hilfsorganisationen versorgt werden, ihre Lager im Grenzgebiet zu Kambodscha und damit weit weg von den Bevölkerungszentren des Landes liegen, stellen diese Flüchtlinge keine sonderliche Belastung für Thailand dar, wie dies in Pakistan bei den afghanischen Flüchtlingen der Fall ist. Die ständigen Grenzscharmützel mit den Vietnamesen helfen dem Militär des Landes sogar, ihre eigenen politischen Ambitionen zu legitimieren. Und die amerikanische Militärhilfe tut ein Übriges, um die Anstrengungen für einen Beitrag zur politischen Lösung des Kambodscha–Konflikts in Thailand zu dämpfen. Die Khmer Rouge erhalten bislang ihre Waffen von der VR China. Aber auch Thailand wird von den Chinesen mit Waffen versorgt, erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, daß China zu äußerst günstigen Bedingungen Panzer und Luftabwehrgeschütze liefern wird. Diese enge Verbindung zwischen Bangkok und Peking wird nun wiederum bei den ASEAN– Staaten mit Mißtrauen betrachtet, was der sowjetischen Diplomatie Einflußmöglichkeiten verschafft hat. In Indonesien, wo Schewardnadse für drei Tage blieb, wendet man sich entschieden gegen den chinesischen Einfluß auf Thailand und möchte schon aus diesem Grund den Kambodscha–Konflikt so schnell wie möglich lösen. Doch die Reise des sowjetischen Außenministers zeigte auch, daß die Sowjetunion nicht mir nichts dir nichts ihre Vorstellungen in Vietnam durchzusetzen in der Lage ist. Man habe nicht die Absicht, einem „Verbündeten Lösungen aufzuzwingen“, erklärte Schewardnadse in Vietnam. Immerhin aber gelang es zum Abschluß des Besuchs, eine Willenserklärung der vietnamesischen Regierung zu erreichen, in der von der Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen Vietnam, Laos, Kambodscha, China und den ASEAN–Staaten die Rede ist.