Serie Das Auto im Jahre 101
: Auf dem Weg zum Schrottplatz

■ US–Autostadt Detroit in der Krise / Im Zuge der Zusammenarbeit mit den Japanern verlagert sich die Produktion an die Westküste

Wenn alljährlich im Januar die Detroiter „Autorama“ ihre Pforten öffnet, eine typisch amerikanische Mischung aus Ausstellung und Nostalgieshow, geben sich die Liebhaber ein Stelldichein. In der Eingangshalle bewundern sie blankgeputzte Oldtimer wie das legendäre „Model T“, Henry Fords erstes Auto vom Fließband. Einen Saal weiter amüsieren sich die Besucher über riesige Lastwagen, die über eine eingeebnete „Straße“ aus Schrottvehikeln hinwegrollen. Die Detroiter belachen die symbolische Zerstörung eines Götzen - und ihrer eigenen Existenzgrundlage. Nirgendwo arbeiten mehr Menschen in der Automobilindustrie als in der „Motor City“ im US–Bundesstaat Michigan. Doch wie die Plattenfirma „Motown“, die in den fünfziger und sechziger Jahren durch Aretha Franklin und andere Stars einer ganzen Musikrichtung den Namen gab, längst nach Kalifornien verzogen ist, so haben auch die Detroiter Autokonzerne ihre beste Zeit hinter sich. Ford, Chrysler und General Motors, die großen drei der Branche, kriseln seit dem Ölschock von 1973 vor sich hin. Von diesem Schock haben sich die US–Firmen, im Gegensatz zur bundesdeutschen und japanischen Konkurrenz, nie so richtig erholt. Nahezu unbeirrt bauten sie weiterhin ihre benzinfressenden Straßenkreuzer, bis 1979 die Spritpreise neue Rekordhöhen erreichten. 22 Liter auf 100 Kilometer brauchte das Detroiter Durchschnittsauto in jenem Jahr - mit der Folge, daß heute mehr japanische Wagen auf nordamerikanischen Straßen herumkurven als je zuvor. Nach einem kurzen Zwischenhoch geht es mit der US–Autoindustrie jetzt weiter bergab. General Motors (GM), noch immer das größte Industrieunternehmen der Vereinigten Staaten, kündigte im vergangenen November an, elf Werke zu schließen und 29.000 Arbeiter zu entlassen. Der Automulti, der in den letzten Jahren rund 40 Milliarden Dollar in hochgelobte Rationalisierungs– und Absatzförderungsprogramme gesteckt hatte, sitzt dennoch auf übervollen Halden. Der GM– Marktanteil ist seit 1980 von 46 auf 41 Prozent gesunken. Den Grund für die Krise, von der auch die Konkurrenten Ford und Chrysler nicht verschont bleiben, sehen Branchenkenner in der mangelhaften Qualität der US– amerikanischen Wagen. Die Fachzeitschrift Wards Auto World etwa spricht von miserablem Styling, nicht ausgereiften Ideen und einem aufgeblähten Firmenmanagement. „GM ist zu groß, steht sich selbst im Wege, hat vor lauter Reorganisieren vergessen, wie man Autos baut und verkauft“, kommentierte das Wall Street Journal. Die „Motor City“ Detroit, wo die heruntergewirtschafteten Konzerne zu Hause sind, meldet mit rund 20 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten in den Vereinigten Staaten - eine Elendsrate mit hoher Dunkelziffer, die man der Stadt auch äußerlich ansieht. Die einst prosperierende Autometropole, deren Einwohnerzahl seit 1970 von 1,5 auf 1,1 Millionen gesunken ist, erinnert zuweilen an ein morbides, von Schwarzen bewohntes „Homeland“. Längst haben sich die wohlhabenden Weißen in die sauberen und gepflegten Vororte zurückgezogen. In den Vierteln rund um die Innenstadt dagegen bestimmen ausgebrannte und verlassene Häuser, Autowracks und Lebensmit telläden, in denen mit Essensmarken bezahlt wird, das Straßenbild. Seit das landläufige Vorurteil Detroit als einen Ort der Mörder und Kriminellen abstempelt, versuchen die um einen besseren Ruf bemühten Kommunalpolitiker, das Stadtzentrum wiederzubeleben. Henry Ford II finanzierte einen neuen Wolkenkratzer mit dem wegweisenden Namen „Renaissance Center“, der wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage jedoch nur selten ausgelastet ist. Gleich daneben schuf sich die reiche Vorstadtjugend ihr Amüsierviertel: ein Einkaufszentrum mit Nippesläden, Modegeschäften und internationalen Restaurants. Doch von den Wochenenden abgesehen, wenn sich hier die weiße Schickeria versammelt, übertrifft die Zahl der Bediensteten und des Wachpersonals die der Besucher bei weitem. Imagekampagnen und spektakuläre Neubauten änderten nichts an der Monostruktur Detroits. Die Abhängigkeit von der Automobilindustrie haben die Stadtväter nicht gelindert - ohne deren neuen Aufschwung aber bleibt jede Wiedergeburt der „Motown“ blanke Illusion. Als Detroit Anfang der achtziger Jahre mit Hungersnöten und Armenspeisungen weltweit Schlagzeilen machte, konnten nur staatliche Milliardenkredite den Chrysler–Konzern vor der Pleite retten. Der unliebsamen japanischen Konkurrenz versuchte man daraufhin mit Importbeschränkungen beizukommen. Der Erfolg blieb aus, denn diese hatte mittlerweile eigene Fabriken in den USA errichtet. 1988, so prognostiziert das amerikanische Handelsministerium, werden die Japaner jährlich 800.000 Autos in den Vereinigten Staaten bauen und zusammen mit ihren Importen einen Marktanteil von 44 Prozent erreichen. Zusätzlich drängen neue südkoreanische Firmen wie Hyundai und das Dae Woe mit Billig–Kleinwagen in das Geschäft. Bereits zu Beginn des nächsten Jahrzehnts, so sagen Experten, wird über die Hälfte der US–Wagen fernöstliche Markennamen tragen. Die Detroiter Konzernspitzen haben das Wettrennen inzwischen aufgegeben und setzen auf Kooperation statt Konfrontation. Sie vereinbarten mit den Japanern die gemeinsame Herstellung von Kompaktautos: Ford tat sich mit Mazda zusammen, Chrysler mit Mitsubishi und General Motors mit Toyota. In der Produktentwicklung allerdings hat die asiatische Konkurrrenz das Sagen - die stolzen US–Firmen wurden zum Low–Tech–Partner degradiert. Die erfolgreichen Produktionsstätten dieser Art liegen nicht mehr in den alten Industriegebieten des amerikanischen Nordostens, sondern an der Westküste. Im GM/Toyota–Werk im kalifornischen Freemont etwa laufen fast doppelt so viele Wagen vom Band wie in allen anderen Fabriken von General Motors. Leidtragender dieser regionalen Verschiebung ist die alte Autohauptstadt Detroit, über die selbst der Konzernchef Henry Ford II resigniert feststellt: „Diese Stadt wird nie mehr sein, was sie in den fünfziger und sechziger Jahren war.“