Minister ohne Geschäftsbereich

■ Kompetenzwirrwarr um radioaktives Molkepulver

Alle Spuren schienen beseitigt, der Schock von „Tschernobyl“ verkraftet. Die Radionuklide waren unter den Acker gepflügt. Inzwischen war Vater Rhein knapp dem konventionellen Gifttod entronnen. Das Wiederansteigen der radioaktiven Belastung der Trinkmilch machte kaum noch Schlagzeilen. Niemand schien ihn unterdessen bemerkt zu haben, den Geisterzug auf dem Abstellgleis bei Rosenheim, der sich Waggon um Waggon in die Länge zog. Bis Pleitegeier sich auf die Beute stürzten, wie einst auf die Dioxinfässer aus Seveso. Von einem windigen Geschäftsmann vom Küchentisch aus in Richtung Norden dirigiert, setzte er sich in Bewegung und fuhr mit Volldampf ins öffentliche Bewußtsein. Er ist gesetzlich nicht greifbar. Fällt verseuchte Molke unters Lebensmittelgesetz, unters Atom– oder Abfallbeseitigungsgesetz? Gehört sie in die Untertage–Sondermülldeponie Bibesheim, ins atomare Zwischenlager Gorleben oder auf den Komposthaufen im Garten Walter Wallmanns? Nach dem Pressealarm überboten sich plötzlich Umweltminister Wallmann und Gesundheitsministerin Süssmuth in vollmundigen Erklärungen. Doch wo war ihr Einsatz, als die Molke anderer Molkereien in den Futtertrögen der Mastanstalten und Bauernhöfe verschwand, kontaminierte Agrarprodukte nach Ägypten oder Brasilien verschifft wurden? Der Fahrtwind aus Rosenheim zog dem Post–Tschernobyl–Minister die Bundhosen aus. Nun steht er im Seidenhemd da und versinkt ohne Gesetzesmacht im Molkestaub. Jetzt plötzlich soll die öffentliche Hand die Entsorgung für etwas übernehmen, was gestern noch unantastbares „Wirtschaftsgut“ war. „Ich habe mich zuständig gemacht“, verkündete gestern Wallmann. Reichlich spät. Kuno Kruse/Imma Harms