Harter Kampf um AIDS–Meldepflicht

■ Innenminister Zimmermann (CSU) geht in der Meldepflichtfrage auf Konfrontationskurs gegen Gesundheitsministerin Süssmuth / Aussonderung der Infizierten gefordert / Entscheidung nicht endgültig

Von Kuno Kruse

Berlin (taz) -“Ich bin für die Einführung der Meldepflicht bei AIDS in Deutschland“, gab Bundesinnenminister Zimmermann in der Dienstagsausgabe der in München erscheinenden Abendzeitung zu Protokoll. „Der Schutz der Nicht–Infizierten“, so der CSU–Politiker, „muß Vorrang haben vor der Diskretion bei den Infizierten.“ Wie sich das die bayerische Regierungspartei im Zusammenleben der Menschen vorstellt, erläutert in demselben Blatt der BundestagsabgeordneteErich Riedel: „Erkrankte und nicht Erkrankte müssen dort abgesondert werden können, wo infizierte Personen häufig zusammenkommen, z.B. in Fabriken, Schulen und Vereinen.“ „Das muß ja schon ein sehr spezieller Verein sein,“ weist der Frankfurter AIDS–Spezialist Prof. Wolfgang Stille auf die bei der CSU offenbar vorherrschenden Vorstellungen vom Deutschen Vereinsleben hin. Der Arzt erinnerte daran, daß AIDS ausschließlich durch Geschlechtsverkehr und Blutkontakte übertragbar ist. Eine Meldepflicht der Erkrankten sei überflüssig und die Infizierten isolieren zu wollen, bedeute, den Norden Schleswig– Holsteins oder vielleicht Berlin für sie zu räumen. CSU–Mann Riedel wandte sich mit der eiligen Forderung , „daß entschieden wird“, offensichtlich an die Adresse der Bundesgesundheitsministerin Frau Prof. Rita Süssmuth. Die Soziologieprofessorin aber hat sich bereits entschieden: „Ich lehne eine Meldepflicht ab“. Als Infektionsquelle kämen Kranke auf Grund ihrer körperlichen Verfassung kaum in Frage, wiederholt die CDU–Politikerin immer wieder, und eine Meldepflicht könne aufgrund der langen Inkubationszeit von teilweise mehreren Jahren auch nicht zur Aufklärung von Infektionsketten beitragen. Das anonyme AIDS– Register beim Bundesgesundheitsamt in Berlin liefere genügend zuverlässige Zahlen über die Ausbreitung der Krankheit. Zur Zeit sind dort 771 Aids–Fälle gemeldet. Eine vollständige Erfassung aller Infizierten, die in der Bundesrepublik derzeit auf 70.000 hochgerechnet werden, würde sich aber kaum als Wahlkampfschlager eignen: dazu müßte alle paar Monate die gesamte Bevölkerung auf AIDS–Antikörper untersucht werden. Aber auch im CDU–Lager gilt das beherzte Wort von Frau Süssmuth nicht als das letzte. „Es wäre jedoch töricht, die heutige Entscheidung gegen die Meldepflicht als endgültig anzusehen“, erklärte der Gesundheitspolitische Sprecher der Union, Hermann Kroll–Schlüter (CDU), gegenüber der Neuen Passauer Presse. Der Startschuß für die neue Meldepflichtkampagne der CSU im Bundestagswahlkampf war offensichtlich vor dem Hintergrund einer Nachricht von der anderen Seite der Alpen gefallen. Italien hat AIDS in die Liste meldepflichtiger Infektionskrankheiten aufgenommen. Ein entsprechendes vom italienischen Gesundheitsministerium erlassenes Dekret hatte aber auch am Tiber für Verunsicherung gesorgt. In der Erklärung des Gesundheitsministers in Rom war zunächst von einer „Pflicht zur Selbstanzeige“, nicht aber von einer Anzeigepflicht der Ärzte zu lesen gewesen.