Götter und Gurus

Neben den 341 Millionen Göttern, von denen, wenn auf Indien die Sprache kommt, immer wieder die Rede ist, nehmen sich die 10 000 indischen Verlage mit 15 000 Titeln im Jahr bescheiden aus. Ein Bruchteil davon ist hier in Frankfurt auf der Buchmesse zu sehen: knapp 6000 Buchtitel aus den letzten zehn Jahren, dazu 500 Zeitschriften und 1700 Bücher aus Europa oder den USA über Indien. Wer nun als Indien–Ignorant die Stände dieser Ausstellung entlanggeht, wird mehrfach verwirrt: Erst einmal muß er von rechts nach links und nicht wie gewohnt von links nach rechts gehen, und dann dauert es bestimmt eine Weile, bis er sich an die bunten Umschläge mit den ebenso schön geschwungenen wie unverständlichen Schriftzeichen gewöhnt hat. Nach einer halben Stunde ist das Auge konditioniert und fischt zielsicher die englischen Titel heraus. Der Rundgang beginnt bei den westlichen Büchern über Indien. Am Anfang eine Zeitschrift, die sich schon seit Jahrzehnten mit Indien beschäftigt: Indo Asia, Untertitel: Politik, Kultur Wirtschaft, herausgegeben von Gisela Bonn im Auftrag der Deutsch–Indischen Gesellschaft. Danach haben Philosophie und Religion, das einschlägig Transzendentale zu Wort: Sri Aurobindos Gesammelte Werke, die der Verlag Hinder und Deelmann herausbringt, „Die Autobiographie eines Yogi“ von Paramahenra Yogananda (Otto Wilhelm Barth Verlag), dazu zig Sachen vom Bhagwan, über dessen neuesten Aufenthaltsort wir nichts Genau eres wissen.Aber die Konkurrenz schläft nicht. Die evangelische Kirche hat sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen und tritt mitten unter den Indien–Büchern gleich gesamtdeutsch gegen die neuen Sekten an: Reinhart Hummel hat für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen - der Name ist keine ironische Übertreibung, sondern ernst gemeint - „Gurus in Ost und West“ geschrieben, Friedrich Wilhelm Haack über „Guruismus und Guru–Bewegungen“, herausgegeben vom evangelischen Presseverband für Bayern. Ob Stephen Neills zweibändige „Geschichte des Christentums in Indien“ (Cambridge Uni Press) ein geeignetes Gegengift ist, konnte ich in der Eile nicht feststellen, nur daß auch sie mit dem Heiligen Thomas beginnt. Den Fleißigen, die näheres über ein paar Hundert der 341 Millionen indischen Götter wissen wollen, wird „Götter und Mythen des indischen Subkontinents“ (Klett Cotta) eine Freude sein. Eine wunderbare Einführung in die Geschichte des Buddhismus, die ich immer noch nicht zu Ende gelesen habe, weil ich immer wieder bei den Bildern hängenblieb, ist der von Heinz Bechert und Richard Gombrich herausgegebene Band „Die Welt des Buddhismus“ (C.H. Beck). Eine Sammlung wichtiger Texte der buddhistischen Tradition bietet der dtv–Verlag in der Übersetzung des Leipziger Wissenschaftlers Klaus Mylius: „Gautama Buddha, Die Vier edlen Wahrheiten“. Wer schon immer Max Webers Indienanalysen nicht so recht traute, kann sich jetzt mit Munition versorgen. Im Weltforum–Verlag hat Detlef Kantowsky eine Sammlung herausgebracht: „Recent Research on Max Webers Studies of Hinduism.“ Vom selben Autor ist im Qumran–Verlag „Bilder und Briefe aus einem indischen Dorf“ erschienen, ein Buch, auf das wir in der taz noch eingehen werden. Eine empirische Studie in Sachen Kolonialismus legt Konrad Specker vor: Weber im Wettbewerb - Das Schicksal des indischen Textilhandwerks im 19. Jahrhundert“ (Steiner– Verlag). Wem das akademisch vorkommt, der kann bei Gandhi nachschauen und sich über die Bedeutung des selbstgesponnenen Garnes für den Befreiungskampf der Inder informieren. Noch ein Hinweis auf ein ungelesenes Buch: Ashis Nandy, The intimate enemy - Loss and recovery of self under colonisation. (Oxford University Press). Aber der Titel muß doch jedem, der einmal begeistert Fanon gelesen hat, unter die Haut gehen. Hoffentlich kann ich mir das Buch irgendwo besorgen. Bisher habe ich es nur in der Ausstellung der indischen Bücher gesehen, nicht beim Verlag. Was ich mir dagegen sofort mitnehmen konnte, waren die Memoiren von Manabendra Nath Roy, dessen Auseinandersetzungen mit Lenin die bundesrepublikanische Neue Linke vor vielen, vielen Jahren einmal für ein paar Monate faszinierte. Ein ausführliches Kapitel darin handelt vom Scheitern der Revolution in Deutschland. Das wird meine Bettlektüre nach dem ersten Tag der Buchmesse. Arno Widmann