Hilfsangebote oder Strafdrohung gegen Stricher mit AIDS–Risiko

■ Bundeseuchengesetz wird für männliche wie weibliche Prostituierte auch bei AIDS angewendet / Zwangsmaßnahmen, wenn Alternativangebote wie Umschulung abgelehnt werden

(Berlin taz)Mit Zuckerbrot und Peitsche will jetzt auch die Stadt Frankfurt, dem Stuttgarter Beispiel folgend, der Ausbreitung des AIDS–auslösenden HIV–Virus über die Prostitution begegnen. Virusträger der „Höchstrisikogruppen“ der männlichen und drogenabhängigen weiblichen Prostituierten soll durch Hilfsangebote wie Überbrückungsgelder, Wohnungssuche und Jobvermittlung eine Alternative zum Strich geboten werden. Bei Ablehnung des Angebots aber sollen Zwangsmaßnahmen ergriffen und Bußgelder verhängt werden. „An Festnahmen“, so Dr. Schildwächter vom Frankfurter Gesundheitsamt, „ist natürlich nicht zu denken. Das müßte ja lebenslängliche Sicherheitsverwahrung zur Folge haben.“ Bei Drogenabhängigen allerdings könnten auch „Entzugsver fahren“ zur Wiederherstellung der eigenen Willens– und Entscheidungsfähigkeit durchgeführt werden. „Mangelnde Einsicht“, so Schildwächter, sei im Gegensatz zu den weiblichen gerade bei männlichen Prostituierten, die häufig die Betreibung eines Gewerbes abstritten, das „Ergebnis jahrelanger bitterer Erfahrungen“. Den Kreis der von den Maßnahmen Betroffenen, schätzt der Gesundheitspolizist auf weniger als Hundert der 1.500 Frankfurter Prostituierten. Grundlage der Maßnahmen, so Schildwächter, sei das Bundesseuchengesetz. HIV–Infektionen wurden nicht zuletzt auf Grund zahlreicher Warnungen von Experten der Sozialmedizin nicht in das Bundesseuchengesetz aufgenommen. Wissenschaftler wie Praktiker fürchteten durch namentliche Registrierungen der Infizierten eine gefährliche Erhöhung der Dunkelziffern und das Fernbleiben der Gefährdeten von Beratungsstellen und Arztpraxen. In der Kombination aber mit den Paragraphen 2, 4 und 10 des Bundesseuchengesetzes, so Schildwächter, ergäben sich für das Prostitutionsgewerbe anderen Infektionskrankheiten entsprechende Anwendungsmöglichkeiten. Doch im Vordergrund müßte die „intensive Bearbeitung“ der Infizierten in den Beratungsstellen stehen. Den Behörden bekannt sind die Infizierten durch die Blutabnahmen „auf freiwilliger Basis“ bei den routinemäßigen medizinischen Untersuchungen zur Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses für männliche wie weibliche Prostituierte. Bei einer Verweigerung beinhalte das Bundesseuchengesetz nach Auslegung der Frankfurter Amtsärzte jedoch die Möglichkeit, dieser „Risikoträger“ auch gegen deren Willen zu untersuchen. Kuno Kruse