Flüchtlingswelle erfunden

■ Türkische Behörden dementieren Tartarenmeldung von 600 Flüchtlingsbussen in die BRD / Deutsche Botschaft distanziert sich von „Übertreibungen“ des AA

Berlin (taz) - Als „reine Einbildung“ bezeichnete der Präfekt der an Bulgarien grenzenden türkischen Provinz Edirne, Enver Hizlan, einen Troß von Asylbewerbern, der sich von der Türkei aus in Richtung Westberlin bewegen soll. Spekulationen über 27.000 Menschen, die sich verteilt auf 600 Bussen kurz vor Inkrafttreten der Zurückweisung ausländischer Flüchtlinge durch die Behörden der DDR bereits in „Torschlußpanik“ in Bulgarien unterwegs befinden sollten, schienen dazu angelegt, für neue Schlagzeilen in der Asylrechtsdebatte zu sorgen. Ausgangspunkt der Gerüchte war das Auswärtige Amt in Bonn. Inzwischen wurde offiziell von den türkischen Behörden die Abreise einer größeren Anzahl von Bussen dementiert. Der Verkehr bewege sich im üblichen Rahmen. Auch die Grenzpolizei bestätigte gegenüber dem taz–Korrespondenten in der Türkei, Ömer Seven, keine besonderen Ausreisebewegungen registriert zu haben. Fortsetzung auf Seite 2 Im Auftrage der taz befragte Anwohner der Europastraße gaben ebenfalls an, nichts gesehen, nichts gehört und noch nicht einmal gerüchteweise etwas von derartigen Bussen vernommen zu haben. In Kreisen deutscher Botschaftsangehöriger in Ankara spricht man inzwischen von „star ken Übertreibungen“. Die Verantwortung für die Meldungen über den angeblichen Flüchtlingstroß, so die Botschaft in Ankara, läge beim bundesdeutschen Konsulat in Istanbul. Ein korrigierter Bericht aber sei bereits nach Bonn gegangen. Nach intensiven Recherchen des Korrespondenten der linksliberalen türkischen Tageszeitung Cumhuriyet in der Provinz Edirne, haben in den vergangenen Tagen lediglich sieben Busse mit 182 iranischen Flüchtlingen die Grenze passiert. Ein Sprecher des Auswärigen Amtes in Bonn, der die Meldungen über 600 Busse ausdrücklich als den „Kenntnisstand“ seines Ministeriums bestätigte, berief sich bei genauerer Nachfrage über die Sichtung des Buskonvois auf nicht näher benannte „Quellen in der Türkei“. Bereits am Freitag seien deshalb diplomatische Vertreter Bulgariens und Polens ins Auswärtige Amt bestellt und aufgefordert worden, die „Regelungen über einen ordnungsgemäßen Transiverkehr“ einzuhalten. Das bedeute, keine Personen durchreisen zu lassen, die nicht über ein Visum West–Berliner oder Bundesdeutscher Behörden verfügten. Verpflichtende Abkommen hierüber bestünden mit den betreffenden Ländern zwar nicht, Bulgarien als erstes Transitland auf dem Weg habe aber bereits zugesagt, niemandem die Durchreise zu gestatten, der nicht ein gültiges Anschlußvisum vorweisen könne. Wie ein politischer Flüchtling aus dem Iran in der Türkei zu einem bundesdeutschen Einreisevisum kommen solle, sei, so der Sprecher des Ministeriums, „nicht unser Problem“. So bleibt schon vor dem 1. Oktober die Entscheidung über die Möglichkeit der Inanspruchnahme des in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland garantierten Rechts aus Asyl den Ländern des Warschauer Pakts überlassen. In der Asylstelle der Berliner Ausländerbehörde wurde in Erwartung der Flüchtlinge, die nicht kommen sollten, vorsorglich Sonntagsarbeit angeordnet und die Zahl der Unterbringungplätze auf 1.200 erhöht. Insgesamt hatten bis Sonntagabend 339 Personen einen Asylantrag gestellt. „Nicht mehr als sonst“, so ein Mitarbeiter der Behörde. Kuno Kruse