Peking und Delhi betonen Freundschaft

Mit Hu Jintao besucht nach zehn Jahren der erste chinesische Präsident den ehemals verfeindeten Nachbarn Indien

DELHI taz ■ Als Höhepunkt des „chinesisch-indischen Freundschaftsjahrs“ wird sie gepriesen, die viertägige Visite des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao, die gestern in Delhi begann. Für die erwartete Charmeoffensive bieten sich vor allem Gespräche über den wirtschaftlichen Austausch an. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Staaten, in denen ein Drittel der Menschheit lebt, hat sich in den letzten fünf Jahren verzehnfacht. Es dürfte in diesem Jahr 20 Milliarden US-Dollar erreichen.

Indien ist schon heute das Land mit den meisten Auslandsprojekten chinesischer Infrastrukturfirmen. Während Hus Besuch soll unter anderem ein Investitionsschutzabkommen paraphiert werden. China drängt auch auf besseren Marktzugang bei den – von Indien als „sensibel“ klassifizierten – Flug- und Seehafenprojekten. Der bislang geltende Ausschluss Chinas aus international ausgeschriebenen Infrastrukturvorhaben belegt, dass hinter der freundschaftlichen Fassade nach wie vor ein tiefes Misstrauen besteht.

44 Jahre nach dem Grenzkrieg zwischen beiden Ländern ist für die strittigen, mehr als tausend Kilometer langen Demarkationslinien noch immer keine Einigung erzielt worden. Kurz vor der Ankunft Hus erklärte Pekings Botschafter in Delhi, China betrachte den indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh als Teil seines Landes. Dies hat in Delhi zornige Reaktionen provoziert.

In Bezug auf die strategische Partnerschaft Indiens mit den USA und den vergangene Woche vom US-Senat abgesegneten Abschluss eines Abkommens zur Lieferung von Nukleartechnologie äußerte sich Pekings Vertreter vorsichtiger. China-Beobachter meinen, dass Peking dem Abkommen gelassen entgegensieht. Zweifellos spielt dabei auch Pakistan eine Rolle. Hu Jintao wird von Indien aus nach Islamabad weiterreisen, und es wird erwartet, dass er dort mehrere Abkommen zur nukleartechnischen Zusammenarbeit unterzeichnen wird. Dass die USA ihre strengen Antiproliferationsgesetze für Indien abändern, macht es Peking künftig leichter, für Pakistan ähnliche Ausnahmen zu machen.

Ohnehin ist es nicht China, sondern Indien, das Einkreisungsängste pflegt. Dies betrifft nicht nur Chinas enge Beziehungen zu Islamabad, sondern auch Pekings rege diplomatische Tätigkeit in Südasien. Mit Bangladesch hat China ein Verteidigungsabkommen geschlossen. An Indiens Ost- und Westflanke in Birma und Pakistan baut China Hafenanlagen, die auch als Marinebasen genutzt werden könnten. Inzwischen interessiert sich Peking gar für die Mitgliedschaft in der Organisation südasiatischer Länder (SAARC), weil die tibetische Himalaja-Region Teil Südasiens sei. Indien sähe darin zweifellos eine Gefährdung seiner Rolle in der Region.

Zwar ließ Indien gestern über 1.000 Exiltibeter gewähren, die gegen die chinesische Besetzung Tibets und Hus Besuch protestierten und ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarfen; dennoch gab es im Vorfeld des Besuches auch Berichte über die Behinderung tibetischer Aktivisten auf dem Weg nach Delhi.

BERNARD IMHASLY