Schlagabtausch zwischen Zagreb und Belgrad

Streit um 10. Jahrestag des Sturms auf die Krajina. Kroatien spricht von Sieg, Serbien vom größten Exodus nach 1945

BELGRAD taz ■ Feststimmung in Kroatien. Alles ist vorbereitet für die Staatsfeier am 4. August, dem 10. Jahrestag der „glänzenden“ militärischen Operation „Oluja“ (Sturm). An diesem Tag besiegten kroatische Einheiten unter dem „großartigen“ Kommando des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman den „serbischen Aggressor und Besatzer“, erkämpften die territoriale Integrität Kroatiens und erlangten wieder das nationale Bewusstsein, berichten kroatische Medien und verherrlichen den „Siegestag“, an dem die „verbrecherische serbische Staatsschöpfung“ auf kroatischem Boden, die so genannte „Republik Srpska Krajina“, ausgelöscht worden sei.

In Serbien herrscht dagegen Gedenkstimmung. Die serbische Staatsspitze, die serbische orthodoxe Kirche sowie zahlreiche Flüchtlingsorganisationen bezeichnen den 4. August vor einem Jahrzehnt als den „größten Exodus“ eines Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg. Kroatische Einheiten hätten damals die Schutzzonen der UN in Kroatien angegriffen, nachdem Zagreb von „Deutschland und der Nato grünes Licht bekommen“ hätte. In nur wenigen Tagen seien in der „blutigen, verbrecherischen“ Aktion über 200.000 Serbien vertrieben, rund 2.500 umgebracht, serbische Flüchtlingskolonnen beschossen und serbische Dörfer in Brand gesetzt worden, schreiben serbische Zeitungen unisono. Die jahrhundertelang von Serben besiedelten Territorien in Kroatien, seien nach „Oluja“ „serbenfrei“ geworden. Schleierhaft sei bis heute, warum sich die jugoslawische Armee unter dem Kommando von Slobodan Milošević nicht eingemischt habe.

Den jüngsten verbalen serbisch-kroatischen Krieg leiteten die zwei sonst moderaten Staatspräsidenten ein. Von wegen „Völkermord“, meinte Kroatiens Stipe Mesić, man könne nur von „Einzeltätern“ und „vereinzelten Exzessen“ reden, was zu bedauern sei. Im Gegensatz dazu sei der Massenmord in Srebrenica tatsächlich geplant gewesen, als serbische Einheiten rund 8.000 Muslime liquidiert hätten.

Das „Verbrechen“ in Kroatien vor einem Jahrzehnt sei ebenfalls bestens „organisiert“ gewesen, returnierte Serbiens Boris Tadić und berief sich auf das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen. Dieses hat mehrere Anklagen gegen kroatische Generäle, unter anderem den flüchtigen General Ante Gotovina, wegen ihrer Beteiligung an „Oluja“ erhoben. Allein die große Anzahl der zivilen serbischen Opfer und Vertriebenen zeuge von „ethnischer Säuberung“, was Zagreb gefälligst eingestehen sollte.

Solche Aussagen erinnerten „an die Politik von Slobodan Milošević“ und seien nicht im Sinne der Normalisierung der Verhältnisse, erklärte Kroatiens Premier Ivo Sanader vor einem Treffen für Stabilität in Südosteuropa in Salzburg. Kroatien sei stolz auf „Oluja“, und wem das nicht passe, sei selber schuld.

Obwohl serbische, kroatische, bosnische und albanische Politiker die Bewältigung der gemeinsamen Vergangenheit fordern, die als Grundstein der gemeinsamen Zukunft dienen soll, erschwert gerade die grundverschiedene Deutung des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien die Normalisierung der Beziehungen zwischen den aus Exjugoslawien entstandenen Staaten.

Viele serbische Touristen sagten prompt den geplanten Urlaub an der kroatischen Küste ab, aus Angst, Opfer der jüngsten nationalistischen Euphorie zu werden. Man kündigte Massenproteste vor der kroatischen Botschaft in Belgrad an. Flüchtlingsorganisationen forderten die Rückkehr vertriebener Serben und eine „politische und kulturelle“ Autonomie in Kroatien. Einige serbische Politiker forderten sogar, die Teilnahme kroatischer Betriebe an der Privatisierung in Serbien zu überprüfen.

ANDREJ IVANJI