Tableaus vom Leben in Trümmern

Mit „Underexposure“ meldet sich das irakische Underground-Kino wieder zurück: Mit entwendetem altem Propaganda-Filmmaterial wirft Regisseur Oday Rasheed einen ungeschönten Blick auf das zerstörte Bagdad

Filme von Cineasten, die ihre Skrupel melancholisch zum Hauptthema erheben, gibt es viele. Was sollen, was können Filmemacher erzählen, wenn alles zur Ware wird, wenn das Kino verschwindet, wenn Kriege und Ideologien innere und äußere Verwüstung hinterlassen?

Man kennt die Larmoyanz von Wenders und Angelopoulos, die Verzwicktheit von Godard und Künstlerkrisen aller Schattierungen im Independent-Film – da meldet sich zwei Jahre nach Saddam Husseins Sturz das irakische Undergroundkino ausgerechnet mit einem Film im Film zu Wort.

Auch Regisseur Oday Rasheed und sein Team sowie sein Bruder Majed, der „Underexposure“ produzierte, muten einem bedeutungsschwere Selbstzweifel zu. Sie erklären das Filmen ohne Drehbuch zum Programm, bekennen sich zu einem offenen Schluss und reden fortdauernd von ihrem Handwerk – und das alles mit dem vollen Pathos existenzieller Verunsicherung.

Sehenswert machen diesen Film seine Perspektive auf Bagdad und die zu düster-poetischen Tableaus gerinnenden Episoden vom Leben in Trümmern. Da bricht ein desertierter Soldat Saddam Husseins verletzt in einer Gasse zusammen; er wird entgegen dem Kriegsrecht von Anwohnern gepflegt, am Ende jedoch sterbend dem Tigris übergeben, weil kein anderer Weg in seine Heimatstadt im Süden zurückführt. Da sammelt ein naiver Narr bunte Plastiktüten in den Trümmern und lässt diese „Farben Bagdads“ im Fluss schwimmen.

Der Zeitungsjunge Nasser (Hayder Helo) stellt fest, dass er auch nach Ende des Krieges dieselbe Route abläuft wie vorher und die Veränderungen ignoriert, die ihm – wie vielen Irakern – wenig helfen. Sein Freund, der Filmregisseur Hassan, kann wiederum nicht aufhören, Bilder zu suchen. Vor ausgebrannten Hausskeletten und Bergen zerstörter Autos sinniert er verzweifelt über die Agonie Bagdads. Die junge Maysoon (Meriam Abbas) rebelliert dagegen, zur Sicherheit im Haus eingesperrt zu sein und reklamiert eine Liebe, zu der Hassan kaum fähig ist.

Anders als vergleichbare Nachkriegsfilme aus den ehemaligen Balkan-Bürgerkriegsstaaten biedert sich „Underexposure“ dem westlichen Lebensgefühl und seinen Kino-Klischees nicht an: Abstand zur amerikanischen Militärmacht und den städtischen Arealen – wo sich der Terror vor die Kameras bombt –, die bewusste Rückkehr in die abgeschlossene Welt des alten Bagdad und immer wieder der majestätische Fluss, Sinnbild für die uralte Schönheit der Stadt, zeichnen diesen kleinen Film aus.

Er erzählt seine Entstehungsbedingungen mit, und er ist „schmutzig“, weil er auf überaltertem Kodak-Material aus der ehemaligen staatlichen Filmbehörde gedreht wurde. Rasheed kaufte es Schwarzhändlern ab, die im April 2003 ihre Raubzüge gestartet hatten und das Silber ausfällen wollten. Erst ein Labor in Beirut bestätigte, dass, leicht „underexposed“ (unterbelichtet) zwar, tatsächlich etwas vom spontanen Dreh auf den Filmstreifen zu sehen war. Die Selbstreflexion der Crew im Film ist hier unmittelbar ein politisches Statement, ihr Problem mit dem Material der praktische Versuch, autonomes Filmemachen nach dem Zusammenbruch der Propagandamaschine zurückzugewinnen – am Kriegsrecht vorbei, ohne Genehmigung, armselig, aber entschlossen.

„Underexposure“ ist so auch eine Metapher auf die kulturelle Situation im Irak. Tom Tykwer und Maria Köpf berieten Rasheed und boten die Koproduktion durch X-Filme an. Mit dieser Geburtshilfe wurde aus 9000 Metern Material plus einigen Nachdrehs (z. B. der Szene mit dem modern anmutenden Beziehungskonflikt) ein semidokumentarischer Spielfilm. Der libanesische Komponist und Oscar-Gewinner Gabriel Yared schrieb die Musik für seinen Arthauskino-Star. Für Oday Rasheed ist das nach Jahren illegaler Kurzfilme, mit denen er sich dem staatlichen Propagandafilm entziehen wollte, eine Chance. In der irakischen Hauptstadt hat er bereits den Filmclub „Berlin–Baghdad“ mit 180 internationalen Wunschfilmen auf DVD gegründet.

CLAUDIA LENSSEN

„Underexposure“. Regie Oday Rasheed. Mit Sammar Qahtan, Yousif al-Ani, Auwatif Salman, Hayder Helo, Meriam Abbas. Irak/D 2004, 74 Min., Farbe; ab heute im Kino Hackesche Höfe