Gras erneuert verbrauchte Energie

200 Landwirte werden den Rohstoff für die weltweit erste kommerzielle Grasraffinerie für die Stadt Schaffhausen liefern. Sie lassen sich nun durch sinkende Getreidepreise, wie sie in den kommenden Jahren zu erwarten sind, nicht mehr beunruhigen

In Schaffhausen wird die Landwirtschaft künftig stärker präsent sein: Traktoren mit Anhänger rollen in der schweizerischen Kantonsstadt ab Sommer Richtung Gewerbepark.

Denn dort am Hochrhein entsteht gerade das weltweit erste kommerzielle Graskraftwerk. Gräser aus dem Schaffhauser Umland, eingesammelt von insgesamt 600 Hektar Fläche, werden dort ab Juli in einer Bioraffinerie energetisch verwertet. Aus 4.400 Tonnen Trockensubstanz sollen jährlich 3 Millionen Kilowattstunden Strom und etwa 4 Millionen Kilowattstunden Wärme gewonnen werden. Die Hälfte der Wärme und ein Drittel des Stromes wird für die Anlage selbst einschließlich Faser- und Proteingewinnung benötigt, so dass netto jeweils 2 Millionen Kilowattstunden Strom und Wärme übrig bleiben. Ferner soll Methan mit einem Heizwert von 1 Million Kilowattstunden ins Erdgasnetz eingespeist werden.

Das Kraftwerk wird nicht nur umweltfreundlich Energie liefern. Es wird auch manchem Landwirt neue Perspektiven geben. „Wir wollen auf den Flächen keine Milch- und Fleischproduktion – davon haben wir mehr als genug“, sagt Hermann Sieber, Geschäftsführer des Genossenschaftsverbandes Schaffhausen (GVS) und nach eigenem Bekunden „Hauptschuldiger“ an dem Graskraftwerk-Projekt. Man habe somit vor der Frage gestanden: „Was passiert künftig mit dem Gras?“ Denn dieses werde auch in Zukunft anfallen – schließlich möchte man sich die Wiesen als Teil der Kulturlandschaft erhalten.

So werden nun ab Sommer mehr als 200 Landwirte der Region ihre Ware an das Kraftwerk liefern. Wenn man bedenke, dass „Bauern keine Hurra-Menschen sind, die sich durch jede neue Technik gleich faszinieren lassen“, dann könne man mit der Resonanz in der Landwirtschaft „sehr zufrieden sein“, sagt Sieber.

Für drei Jahre wurde den Landwirten ein Vertrag angeboten, die Preise sind für diese Zeit festgeschrieben. Zwischen 16 Schweizer Franken je 100 Kilogramm Trockensubstanz für so genanntes Ökogras, das erst nach dem 15. Juni gemäht werden darf, und 22 Franken für die proteinreiche Luzerne liegen die Vergütungen. Jeder Hektar bringt im Jahr bis zu 10 Tonnen Trockensubstanz. Damit bräuchten sich die Schaffhauser Landwirte durch sinkende Getreidepreise, wie sie in den kommenden Jahren zu erwarten seien, nicht mehr beunruhigen lassen, freut sich Sieber: „Das Einkommen der Bauern orientiert sich nun am Energiemarkt, und dort sehen die Perspektiven besser aus.“

Stolz ist Sieber auch darauf, den Landwirten nicht nur eine neue Einnahmequelle geschaffen zu haben, sondern zugleich eine, die ohne Subventionen auskommt – was in der Landwirtschaft der Schweiz eher selten ist. Im Sommer liefern die Landwirte das Frischgras in die „Gras-Raffinerie“, im Winter die Siloballen. Des Weiteren sollen künftig pro Jahr 1.000 Tonnen Biomasse von Straßen und Bahnböschungen sowie Geschwemmsel aus den nahe liegenden Flusskraftwerken am Rhein energetisch verwertet werden. „Wir haben am Ende Produkte, die sich mit guter Wertschöpfung vermarkten lassen“, sagt Sieber.

Die Anlage wird schlüsselfertig erstellt von der Firma „2 B Biorefineries“ aus dem schweizerischen Dübendorf, die bereits seit 1998 in Märwil im Thurgau eine Pilotanlage betreibt. Die Grasvergärung funktioniert ein wenig anders als die Vergärung in einer klassischen Biogasanlage. „Wir vergären ohne organische Feststoffe“, sagt Graeme Hansen, einer der Entwickler der Firma 2 B. Denn die Fasern werden zuvor extrahiert. Das geschieht ohne Chemikalien – „ähnlich wie in einem Kuhmagen“. Die Fasern können als Dämmstoff oder als Füllstoff für Faserverbundwerkstoffe verwendet werden. Die „Graswolle“ habe Brand- und Dämmeigenschaften, die mit Glas- und Steinwolle vergleichbar sind, heißt es.

Anschließend wird aus der verbleibenden Substanz das Protein dekantiert, das als Tierfutter mehr Einnahmen bringt als bei energetischer Nutzung. Die nun verbleibende Brühe, die in erster Linie noch Kohlenhydrate enthält und frei von organischen Feststoffen ist, wird anschließend zu Methan vergoren.

Aus einer Tonne Gras lassen sich auf diese Weise 380 Kilogramm Fasern gewinnen sowie 190 Kilogramm Protein, 615 Kilowattstunden Strom und 900 Kilowattstunden Wärme. Zudem bleiben 269 Kilowattstunden je Tonne, die als Biogas ins Netz eingespeist werden.

Betreiberin der Anlage wird die im Frühjahr 2000 gegründete Bioenergie Schaffhausen AG sein. Aktionäre sind neben dem Genossenschaftsverband Schaffhausen auch verschiedene Landwirte, die Etawatt Schaffhausen AG (ein Energiedienstleister und Contractor), die Städtischen Werke Schaffhausen/Neuhausen und weitere Teilhaber. 6,7 Millionen Schweizer Franken werden die Gesellschafter bis zur Inbetriebnahme der Anlage investiert haben. Sie soll bereits im zweiten Betriebsjahr Gewinn einfahren. 700.000 Schweizer Franken Einnahmen sind durch den Verkauf der Naturfasern pro Jahr eingeplant, 1,6 Millionen Franken soll der Verkauf der Energie einbringen.

Doch das Projekt ist nicht ganz unumstritten. Der World Wide Fund for Nature (WWF) in Schaffhausen ist zwar nicht gegen die Anlage, steht ihr aber nur mit eingeschränkter Sympathie gegenüber. Denn er befürchtet eine „Stromwäsche“, weil die Anlage als Prozessenergie jährlich 1,1 Millionen Kilowattstunden Strom aus dem Netz bezieht und am Ende 3 Millionen Kilowattstunden Ökostrom zurückliefert. Dass davon ein Drittel aber eigentlich als konventioneller Strom gewertet werden müsste, missfällt dem WWF.

Zudem befürchtet der Umweltverband, dass es zu einer intensiven Grasbewirtschaftung kommen könnte. Für die energetische Nutzung brauche man einen hohen Eiweißgehalt im Gras, und diesen bekomme man nur durch Düngung. Hermann Sieber vom GVS widerspricht dieser Einschätzung jedoch: „Die künstliche Düngung macht für den Landwirt betriebswirtschaftlich keinen Sinn.“ BERNWARD JANZING