Das Fernsehen der Meere

Landratten, ahoi: „mare tv“ liefert Fisch und Fernsehen von höchster Qualität. Nur Uwe Seeler passt da nicht rein. Der NDR hat mit der TV-Variante des maritimen Magazins einen echten Volltreffer gelandet. Hoffentlich merkt er das auch (N 3, 20.15 Uhr)

von SILKE BURMESTER

Der NDR ist ein gebranntes Kind. Voller Ehrgeiz den medienpolitischen Anschluss nicht zu verpassen, ging die Sendeanstalt vor gut drei Jahren einen Pakt mit dem Verlagsriesen Gruner + Jahr ein. Das Ergebnis hieß „Brigitte TV“ und machte weder Zuschauer noch Macher glücklich. Aus dem Kompetenz- und Qualitätsdebakel ist man klug geworden: Statt sich mit einem Print-Giganten auf einem Sendeplatz im ARD-Ersten profilieren zu wollen, hat sich der NDR mit mare einen kleinen Zeitschriften-Fisch geangelt – und hat damit den großen Fang gemacht.

Die Zeitschrift der Meere – so der mare-Untertitel, 1997 vom Ozean- und Qualitätsverliebten Schweizer Meeresbiologen Nikolaus Gelpke gegründet, ist das, was heute angeblich kein Printobjekt mehr sein darf: eine Oase der Ruhe und Gelassenheit. Ein qualitativ hochwertiges Magazin jenseits des Tempo bestimmenden Hippness-Wahns, der Objekte in die Uniformität zwingt. Stattdessen ist mare ein Blatt, dessen Crew es immer wieder schafft, Themen zu liefern, von denen man nicht ahnte, dass es sie gibt. So berichtet sie zum Beispiel über einen Übungsteich für Hochseekapitäne, das Maritime im Jugendstil oder die Fußballer an Brasiliens Stränden. – Ein Liebhaberunternehmen.

So ist es auch nicht erstaunlich, dass sich das zweimonatliche Magazin mit einer Verkaufszahl von knapp über 30.000 Exemplaren wirtschaftlich gesehen lang noch nicht freigeschwommen hat. Doch mare-Chefredakteur und Herausgeber Nikolaus Gelpke, der sein Haar à la Seeigel trägt, ist zuversichtlich. Die Käuferzahl nimmt beständig zu, der Umsatz seiner Zeitschrift hat sich im Jahr 2000 knapp verdoppelt. Für den Verlag des 38-Jährigen, den Hamburger dreiviertel Verlag, kann „mare TV“ ein Imagegewinn und Werbung für das Heft sein.

Geld vom NDR für die Verwendung des Namens oder die Bereitstellung von Themen und Geschichten gibt es nicht. So ist denn auch von „einer engen Zusammenarbeit“ die Rede. Zwischen der Redaktion des NDR unter der Leitung des stellvertretenden Abteilungsleiters Kulturmagazine Ralf Quibeldey, der beauftragten Produktionsfirma „Bilderwelt“ und der mare-Redaktion.

„Die Zeitschrift,“ so Gelpke, „hält sich komplett raus.“ Mit dem Ergebnis kann er dennoch zufrieden sein. Das 45-minütige Magazin ist das adäquate TV-Pendant zur Zeitschrift. Schöne, klare Bildsprache bestimmt die Optik, bis zu neun Minuten lange Beiträge widmen sich in der ersten Folge Themen wie der frühmorgendlichen Thunfischauktion auf dem größten Fischmarkt der Welt in Tokio, dem (Wal-)Penismuseum auf Island und dem Austernfestival in Irland.

Wie beim Blatt gilt auch hier: Die Hektik bleibt außen vor, nichts wird übertrieben, statt dessen auf Qualität gesetzt. So entsehen fundierte Beiträge mit ästhetisch sehr ansprechender Bebilderung – selbst für Landratten interessant.

Dabei enthalten sich die Macher jeglichen Kommentars. Sie setzen auf die Überzeugungskraft ihrer Bilder. So auch im Schwerpunkt „Wale“, dem „Kuscheltier der Moderne“. Dem Offenbacher Unternehmer Dieter Paulmann – Zeitarbeitsvermittler mit Geld und Drang zu Höherem – gelang es, einen weißen Wal zu filmen. Und in Hamburg treffen sich noch heute regelmäßig deutsche Walfang-Veteranen: Noch bis Mitter der 50er-Jahre ging die deutsche Walfangflotte in See, zuletzt auf Schiffen des Reeders Onassis und unter der Flagge Panamas. Heute ist die Waljagd verboten, im Prinzip wenigstens: In der Rubrik „Nachfrage“ stellt „mare tv“ Ansichten des Norwegischen Generalkonsuls zur Missachtung des Walfangverbots durch Norwegen unkommentiert neben die eines Greenpeace-Experten und überlässt die Meinungsbildung dem Zuschauer.

Wie das Heft hat auch die Sendung ihre Schwäche in der Ausblendung von Frauen. Als hätten Frauen nichts mit der urweiblichen Kraft, dem Ursprung allen Lebens zu tun, dominiert das Bild von „Mann und Meer“ und der Domestizierung der Natur. Das technisch schwächste Stück der Sendung, das Interview mit Uwe Seeler in der Reihe „Mein Traum vom Meer“, manifestiert unfreiwillig die männliche Definition von der See.

Der NDR hat für die zwei bereits produzierten „mare TV“-Folgen am Donnerstagabend einen erfolgreichen Sendeplatz freigeräumt. 10 Prozent Marktanteil möchte man haben, nur dann soll es mit neuen Folgen weitergehen. Doch ein Format wie „mare TV“ wird wie das Printobjekt Zeit brauchen, seine Zielgruppe zu erreichen und sich zu etablieren. Es wird sich zeigen, ob der kleine Trawler NDR den Mut findet, beim Hochseefang um die Zuschauergunst im Rennen zu bleiben.