Kein Film wie eine Schmerztablette

■ Linke Ästhetik? Ein Interview mit dem Regisseur von Code: Unbekannt, Michael Haneke

Code: Unbekannt heißt der neue Film von Michael Haneke, den er in Paris und Rumänien gedreht hat. Die zweistündige Collage aus Momentaufnahmen erzählt von einer Schauspielerin (Juliette Binoche), einem Kriegsreporter, einer rumänischen Immigrantin und anderen Passanten der Gegenwart, die alle mit dem Alltag von Terror und Sprachlosigkeit konfrontiert sind. Szenen, die berühren, mitreißen, verwirren – aber auch stets den Zeigefinger des österreichischen Moralisten spüren lassen.

taz hamburg: Herr Haneke, in Ihrem Antigewalt-Thriller Funny Games von 1997 quälen Sie den Zuschauer mit schockierenden Gewaltszenen. In Ihrem neuen Film Code: Unbekannt setzen Sie ihn Formen der Demütigung aus. Warum?

Da muss ich Sie korrigieren. Beide Filme befassen sich mit der medialen Repräsentation von Gewalt, und zwar auf allen Ebenen. Funny Games war der Abschluss meiner Bürgerkriegstrilogie. Code: Unbekannt könnte man die Überschrift „Weltkrieg“ geben.

Dabei peinigen Sie das Publikum. Macht Ihnen das eigentlich Spaß?

Ich denke, es ist von Zeit zu Zeit ganz ratsam, den Zuschauer ein bisschen zu verunsichern, ihn miss-trauisch zu machen gegenüber der Realität im Medium. Zum Teil weiß er ja in Code: Unbekannt gar nicht, wo er sich befindet: ob im Film oder im Film im Film. Irgendwann merkt er dann, dass beides künstliche Realitäten sind.

Damit das auch jeder mitkriegt, haben sie kleine Hilfestellungen eingebaut.

Es gibt eine komplette Film-im-Film-Szene: die Szene im Swim-mingpool. Die erkennt man eigentlich daran, dass sie montiert ist und nicht in einer Plansequenz gedreht ist. Trotzdem plumpst der Zuschauer in die Falle und hält das für die Realität des Films. Und nachher sage ich: Ätsch, es ist ja gar nicht so, also solltest du auch der Realität des ganzen Films misstrauen. Das ist wie in Funny Games, nur weniger qualvoll (lacht).

Qualvoll genug. Man leidet ja mit den Figuren mit, etwa wenn Juliette Binoche im Swimmingpool von Entsetzen gepackt wird. Die harten Schnitte und die Schwarzblenden werfen einen dann allerdings wieder raus.

Das befördert hoffentlich die Reflexion. Wenn ich in meinen Emotionen ertrinke, kann ich nicht mehr nachdenken. Mit den harten Schnitten versuche ich außerdem, die Zerstückelung unserer Wirklichkeitswahrnehmung deutlich zu machen.

Ist diese linke Filmästhetik nach dreißig Jahren nicht ein bisschen überholt?

Das Mainstreamkino behauptet immer noch, dass Wirklichkeit in ihrer Totalität reproduzierbar ist.

Und was sind sonst die Themen von Code: Unbekannt?

Aufhänger ist die neue Völkerwanderung in Europa: das Thema dieses Jahrhunderts. Ein anderes Thema ist die Schwierigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation. Sei es in der Paarbeziehung, in der Familie oder zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen.

Sie sind gerne ein Außenseiter, haben Sie mal gesagt. Warum?

Weil ich mich nicht wohl fühle mit dem Status quo dieser Gesellschaft. Aber 98 Prozent dessen, was wir im Kino sehen, dient dazu, das zu vergessen. Das hat nur den gleichen Effekt, wie wenn Sie Kopfweh haben und eine Tablette nehmen. So lange die Tablette wirkt, ist der Schmerz weg...

...ein Segen...

... und danach ist er wieder da. Wenn Film eine Kunstform sein will, muss er sich aber mit den Ursachen des Kopfwehs befassen. Deshalb fühle ich mich als Außenseiter im Universum der Zerstreuungsindustrie einfach wohler.

Und haben Sie Erfolg als Filmdoktor, der nicht nur die Symptome mildert?

Das ist so, als würden Sie fragen: Glauben Sie, Ihre Filme können die Welt verändern? Da würde ich sagen: Nein. Aber wenn nur drei Leute ein bisschen sensibler für was geworden sind, würde ich sagen: toll.

In Code: Unbekannt gibt es eine Szene, die besonders nah geht: Juliette Binoche wird von einem Araber gedemütigt. Ist das ihr Aufruf zu mehr Zivilcourage?

Die Szene ist ja sehr komplex, deshalb berührt sie wohl die allermeisten. Der junge Araber benimmt sich zwar wie eine Sau, aber nicht ganz zu Unrecht. Der ist ja kein böser Mann, sondern selbst ein Opfer der Verhältnisse. Gleichzeitig sind wir als Zuschauer in der Position der Danebensitzenden, die wir alle kennen.

Sie haben für den Film ein Jahr lang in Paris recherchiert.

Ja, das war schwierig. Ich hatte ein Milieu zu beschreiben, das ich nicht kenne. Ich kenne keine schwarzen Familien in Paris und keine rumänischen. Fast alles, was im Film vorkommt, sind Geschichten, die man mir erzählt hat.

Warum sind die Geschichten alle so ernst?

(Lacht) Wahrscheinlich kommt mir die Welt nicht so wahnsinnig lustig vor. Ich hab zwanzig Jahre Theater gemacht und nur ein Mal eine Komödie inszeniert: mein einziger wirklicher Flop. Das ist also nicht unbedingt meine Stärke.

Dabei lachen sie dauernd.

Man muss ja nicht depressiv sein, wenn man sieht, dass die Situation beschissen ist. Kein Mensch kann leugnen, dass die Gesellschaft, in der wir leben alles andere als lustig ist.

Interview: Ariane Heimbach

Code: Unbekannt startet am Donnerstag, täglich 17 Uhr + 21.30 Uhr, Zeise