Human und/oder posthuman

Das Graduiertenkolleg „Körperinszenierungen“ lud am Wochende zu einer hochaktuellen Debatte über „Grenzverläufe. Der Körper als Schnitt-stelle“ ein  ■   Von Sebastian Handke

In der virtuellen Realität wird die Verflüchtigung des Körpers herbeigesehnt: Ganz in der Tradition der Emanzipation des Geistes vom Fleische. Gleichzeitig beobachtet man in den Massenmedien und der Kunst einen manischen Körperkult: Fitness, Piercing und Schönheitschirurgie dominieren die Bilder des Leibes.

Auch die als Sloterdijk-Debatte kanonisierten feuilletonistischen Aufregungen der letzten Wochen finden hier ihren Ort. Dem posthumanistischen Rufen aus Karlsruhe lässt sich vor allem eines entnehmen: eine allgemeine Ratlosigkeit angesichts der neuen Biotechnologien, die den Mensch und seinen Körper der Verfügbarkeit durch den Menschen übergeben. Auf der Suche nach den Grundlagen für die Formulierung von Kritik, einer Handlungspragmatik oder gar einer allgemeinen Ethik scheint man dort, wo sich früher der Humanismus zur Verfügung stellte, nun auf eine Leerstelle zu treffen.

Da traf es sich gut, dass das an der FU ansässige Graduiertenkolleg „Körperinszenierungen“ die VertreterInnen verschiedener Disziplinen zu einem zweitägigen Symposium, „Grenzverläufe. Der Körper als Schnitt-stelle“, geladen hatte. In der Engführung von Philosophie, Biomedizin, Frauenforschung und den Theorien von Cyborg, Cyberspace und Neuen Medien sollte der Versuch einer neuen Konzeptualisierung des Körpers unternommen werden: worauf beziehen, wenn man vom Körper spricht? Die alten abendländischen Dichotomien von Kultur/Natur, Körper/Geist usw. sind als Machtdiskurse entlarvt und unmöglich geworden. Das Grundproblem ist die Frage nach dem Selbstverhältnis des Menschen: Gibt es eine Selbstgewißheit, eine Wahrnehmung der eigenen Leiblichkeit jenseits der biologistischen Reduktion auf neuronale Prozesse, die aber auf der anderen Seite nicht der totalen Konstruiertheit durch Diskurse anheim fällt? Das würde bedeuten, dass es etwas gäbe, was den Menschen bestimmt, das aber in keiner symbolischen Ordnung aufgeht. Denn schließlich verwandeln sich Körper nicht einfach in Symbole, Zeichen oder Positionen im Diskurs.

Gernot Böhmes Bemühen um die Formulierung einer kritischen Theorie der Natur machte gleich zu Beginn deutlich, dass man von der Erfahrung des Körpers ausgehen wollte. So rückte in vielen Beiträgen die scheinbar altmodische Disziplin der Phänomenologie in den Vordergrund. Böhme versucht, die kulturelle Produziertheit des Gegensatzes von Kultur und Natur mit einem Begriff von „Natursein“ zu versöhnen, um von dort aus wieder zu einer Kritikfähigkeit der Biotechnologie zu gelangen. Dieses „Natursein“ des Menschen ist seine Schmerz- und Lustempfindung. Sie ist Ursache, nicht Folge des Auseinandertretens von Körper und Geist. Von diesem Standpunkt aus hofft Böhme die Dichotomien retten zu können, um auf ihnen ein Konzept von Menschenwürde aufzubauen, das den unbegrenzten technologischen Zugriff auf die menschliche Natur verbietet.

Annette Barkhaus und Elisabeth List traten auf je eigene Weise emphatisch für einen Begriff von „Lebendigkeit“ ein: der „Eigensinn des Körpers“ als Evidenz der Alltagserfahrung. Am Interface zum Computer findet sich immer noch ein lebendiges Subjekt. Und so konnte Sybille Krämer unter allgemeinem Zuspruch die Phantasie von der Entkörperung im Datenraum ad acta legen: Wenn der Körper beim Übertritt in die virtuellen Welten mit einem Zeichen für den Körper belegt wird, geht er dabei keineswegs verloren. Es entsteht ein sublimes Wechselspiel zwischen physischem Körper und Datenkörper, möglicherweise eine neue Kulturtechnik, die erst noch erforscht werden muss.

Verschiedene Versuche, der humanistischen Leerstelle begrifflich beizukommen, waren Böhmes „betroffene Selbstgegebenheit“ oder Gesa Lindemanns Konzept von der Selbständigkeit in der Begegnung, Versuche der Neudefinition vom lebendigen Körper jenseits biotechnologischer Reduktion. Ist also das Zeitalter des Posthumanismus angebrochen, oder lässt sich mit den angedeuteten Neubestimmungen ein neuer Humanismus begründen? Lakonisch antwortete Dietmar Kamper: „Das Moderne ist das Postmoderne. Genauso ist das Humane das Posthumane.“