Steinzeit in Idar-Oberstein

In dem europäischen Schleifzentrum blieb der Glanz der Edelsteine erhalten. Auch wenn der Verkauf an Touristen und Händler über die Herstellung gesiegt hat  ■   Von Christel Burghoff

rster Besuch. Diamanten, Rubine, Smaragde, Saphire, Opale ... Im deutschen Edelsteinmuseum sind die glitzernden Highlights der Welt versammelt, jede Sorte Edel- und Schmuckstein, die auf dem Markt ist, in allen Formen, in denen sie geschliffen werden. Neben tonnenschweren Kristallen funkeln in Vitrinen die Paletten farbiger Edelsteine, neben unscheinbaren Rohsteinen werden die perfekt bearbeiteten Schönheiten präsentiert. Erstaunlich, daß noch jeder Diamantkrümel zum betörenden Brillie taugt. Eine gelungene Leistungsshow der hiesigen Edelsteinindustrie ist dieses Museum. Aber nicht nur das: Für jemanden, der glitzernde Klunker liebt, ist es wie eine Schatztruhe, voll von kristallinen Wunderwerken. Der pure Luxus.

Das andere Museum des Ortes, das Heimatmuseum, beherbergt noch mehr farbige Riesenkristalle, riesige Amethystdrusen und noch mehr handwerkliche Meisterwerke. Die Nachbildungen der berühmtesten Diamanten liegen hier: Der Schah-Diamant, der Dresden Grün, der Große Stern von Afrika und der Cullinan II, Koh-i-noor, Tiffany ... Wer hier kein Fan der schönen Steine wird, der wird es nimmermehr.

Zweiter Besuch. Es tut gut, sich an die Museumsschönheiten zu erinnern, wenn man in grauem Kittel und schwarzer Gummischürze in einer Werkstatt hockt und Steine bearbeitet: schneiden, schleifen, dann polieren und noch einmal polieren. Die Lederriemen laufen heiß. Wer ahnt schon, daß man einen banalen Bergkristall stundenlang polieren muß, bis er durchsichtig wird! Bis man endlich ein dekoratives Steinchen in der Hand hält! Was als Reinschnuppern in die Produktion gedacht war, erweist sich als harte Arbeit. An den Maschinen ist es naß und schmutzig, zum Schleifen braucht man Wasser. Und es ist laut wie an der Kreissäge. Meine Fingerkuppen sind vom Schleifen der schönen Steine schnell blutig, ich muß sie verpflastern.

Mein Meister zeigt mir sein Anwesen: Draußen im Garten, neben Teich und Gartenzwerg, liegen dikke Schmucksteinbrocken. Die riesigen rosa Quarze kommen aus Afrika, überwiegend Madagaskar, die erdfarbenen Achate aus Brasilien. Man färbt sie ein, um sie interessanter zu machen. Daneben Kisten und Kästen mit den unterschiedlichsten Mineralien. Die einheimischen Funde, mit denen in Idar-Oberstein die Edelsteingeschichte anfing, sind im Grunde nichts mehr wert, erklärt der Meister. Europa ist arm an Edelsteinvorkommen. Im Verkaufsraum neben der Werkstatt sind Andenken ausgelegt. Ketten mit Steinanhängern für Touristen, Ringe aus preiswerten Schmucksteinen, Brieföffner und Sahnegabeln mit Achatgriff, Aschenbecher, Steintierchen, Wanduhren, auf Steinscheiben gearbeitet, Steinperlenketten. Der betagte Steinschleifer ist längst ins Souvenirgeschäft eingestiegen. „Die Arbeit am Stein lohnt sich nicht“, sagt er. „Früher habe ich jeden Tag von morgens 7 bis abends 7 Uhr geschliffen. Vom Handel lebt es sich leichter.“

Noch gibt es in Idar-Oberstein und Umgebung einige hundert kleinere und mittlere Betriebe, die schleifen und Schmuck herstellen. Dieser Ort (40.000 Einwohner) inmitten grüner, bergiger Landschaft an Nahe und Idarbach hat 500 Jahre glanzvoller Schmucksteinhistorie hinter sich. Heiß begehrt von allen europäischen Fürstenhäusern waren früher Kunstobjekte aus dem örtlichen Achat, vor allem die Tabakdosen. Zu Zeiten der Kolonialherren sicherte man sich das Monopol auf Steingeld, das die europäischen Staaten in ihre afrikanische Besitztümer ausführten. Im 19. Jahrhundert ging es wirtschaftlich rapide aufwärts: Auswanderer hatten in Brasilien riesige Achatvorkommen entdeckt und organisierten den Transport des Rohmaterials ins heimische Idar-Oberstein. Der Ort wurde zum europäischen Schleifzentrum. Und danach löste eine „Ära“ die nächste ab: Onyxzeit, Gemmenzeit, Saphirzeit, Halbperlzeit, Opalzeit – je nachdem, was in Übersee neu entdeckt oder hierzulande zur Mode wurde. Vor dem ersten Weltkrieg kauften Idar-Obersteiner fast 90 Prozent aller australischen Opale auf. Bis in die 50er Jahre hinein bearbeitete man beinahe die gesamte brasilianische Achatausbeute. Mehrere tausend Schleifer, Steinschneider, Facettierer belieferten weltweit Juweliere und Goldschmiede, sie fertigten die Accessoires für betuchte Bürger, Ketten für Bürgermeister, Monstranzen für den Klerus, Brillanten und Pretiosen für die Reichen und Schönen. Sie sollen sogar die legendären Kristallschädel geschliffen haben, von denen Nachfahren der Mayas behaupten, daß sie vor ungefähr 100.000 Jahren ihren Vorfahren als Geschenke der Götter übergeben wurden.

Längst hat sich die Steinmetropole gewandelt, und zwar zu einer Handelsmetropole mit bedeutenden Forschungs-, Prüf- und Ausbildungseinrichtungen. Die Produktion konzentriert sich auf hochwertige Steine, auf Präzisionsschliffe (auch für die Industrie) und neue Formen. Und längst nicht mehr jede Steinsorte, die auf dem Markt ist, wird hier verarbeitet. Aber jede wird gehandelt, so der Bundesverband der Schmucksteinindustrie.

Das einzige Hochhaus dieses Ortes ist die Edelsteinbörse. Sie wirkt ohnehin wie ein Tresor. Wie es im Innern dieser stein-reichen Welten aussieht, bleibt dem schlichten Besucher allerdings ein Geheimnis. Ihm sind die Souvenirs reserviert. Idar-Oberstein ist voller Touristen. Der Ort ist auch ein Highlight für Tagesausflügler, ein Muß für die organisierten Kaffeefahrten und seit einigen Jahren über alle Maßen autogerecht. Als er das letzte Mal bundesweite Schlagzeilen machte, da war es denn auch wegen des Betonsargs: Das idyllische Flüßchen Nahe wurde zubetoniert, um Platz für eine autobahnähnliche Bundesstraße zu schaffen. Man beerdigte den Fluß – und alle kleinstädtische Heimeligkeit gleich mit. Das war Anfang der 80er Jahre.

Vor allem ältere Frauen prüfen die Auslagen der Schmuck- und Steinhändler. Sie legen sich die bunten Ketten aus Perlen und Splittern vom rosa Quarz, blauen Lapislazuli, grünen Malachit oder vom Türkis um den Hals. Wie unter Einfluß greifen, drehen und probieren sie zeitlos verschnörkelte Edelsteinringe, echt hin, synthetisch her. Sie kaufen kleine Achatdosen („Da hat man immer mal was zum Verschenken!“). Sie befühlen Steine für jedes Sternzeichen, für jede Jahreszeit, für jedes Wehwehchen – überhaupt für jegliche Befindlichkeit. Steine möbeln mental auf. Fans sagen ihnen „energetische“ Wirkungen nach. Seit der Esoterikwelle kann sich noch jeder Kiesel eines magischen Flairs rühmen.

Im Touristen-Eldorado geht es zu wie befürchtet: Statt Metropolenflair und aufregenden Einzelstücken regiert konventionelle Massenware. Gnadenlos beliebig, was alles aus Stein gefertigt wird – vom Eifelturm bis zum brüllenden Löwen. Die Ware kommt heutzutage aus sogenannten Niedriglohnländern, vor allem aus Asien. Diese Länder exportieren auch das Design, meint ein Dozent für Schmuckdesign von der örtlichen Fachhochschule. Und er hält es für ein Desaster. Der ausgebildete Nachwuchs habe kaum noch ökonomische Chancen, sich mit eigener Werkstatt und neuen Kreationen selbstständig zu machen.

„Niedriglohnländer“ ist auch das Schlüsselwort meines Meisters. Es erklärt ihm den Rückgang der Arbeitsplätze, den Verfall der Preise. „Wo die 50 Pfennig nehmen, da muß ich 10 Mark berechnen“, sagt er. Nicht, daß er sich über die ausländische Konkurrenz weiter beklagte – er lebt im Wohlstand. Doch es ist kein gutes Thema. Zwischen Lapislazuli, Gummischürze und blutenden Fingern macht sich Mißstimmung breit: Die Zukunft scheint ebenso passé wie der Glanz der Vergangenheit. Der Preis der Globalisierung.

Touristen kommen beim Meister vorbei. Und weil Steinschleifer bei der Arbeit seltener geworden sind, bin ich, die Touristin, eine Touristenattraktion. Man blickt mir staunend über die Schulter, bewundert meine Produktion: Wie ich aus Steinscheiben phantastische Welten hervorzaubere. Ich habe sie aus nichtssagenden, grauen Feldsteinen geschnitten, die im Herbst auf den gepflügten Äckern der Umgebung herumliegen. Aber beim Polieren geben die Scheiben ihre Geheimnisse preis. Wie saftiges, farbiges Fruchtfleisch wirkt die erste Serie. Die Scheiben eines anderen, helleren Steines scheinen erst milchig durch. Schließlich entfalten sich die Kalkeinschlüsse zu kleinen Inseln inmitten durchsichtiger Meere aus Bergkristall. Mit zarten grünen Verästelungen, die wie frischer Baumbestand wirken. Ein Idyll. Vermutlich 250 Millionen Jahre alt.

Ein Sammler kommt vorbei. Zeigt uns stolz einen großen ovalen Opal. Der ist rabenschwarz mit einem intensiven inneren, grünen Feuer. Ein Stück wie aus einem Science-fiction. Die australischen Aborigines werden recht haben, wenn sie dem Opal nachsagen, er sei das magische Feuer im Auge eines Geistes, der ahnungslose Menschen unter die Erde locken will. Sein Preis: überirdische 30.000 Mark. Ein Luxus, der geradezu blendet.

Oder verrückt macht? Manch einer gibt ein Vermögen für einen Stein aus. Die Sucht nach Steinen ist merkwürdig. War Fritz Klein verrückt, als er dem Smaragd verfiel? Oder gierig? Oder dachte er nur weitsichtig und ökonomisch? Klein, ein honoriger Bürger dieser Stadt, fahndete einer Sage hinterher. Er suchte und fand in Kolumbien Anfang dieses Jahrhunderts die präkolumbianischen Smaragdminen. Die historischen Minen waren längst vergessen und vom Urwald überwuchert. Beim Lesen seines Berichts bleibt vor allem hängen: die ungeheuerliche Beharrlichkeit trotz jahrelanger Rückschläge und die unglaublicher Strapazen. Und alles für grüne Steine!

Die Arbeit am Stein war immer hart. 10 Jahre habe er gebraucht, sagt der Facettierer aus der Nachbarschaft, bis er den perfekten Schliff millimeterkleiner Steine aus der freien Hand wirklich beherrschte. Schleifen – tagein und tagaus. Er gehört zu den Qualifiziertesten und verbreitet die Gelassenheit eines Zen-Meisters. Früher, vor der Elektrizität, da arbeiteten die Achatschleifer bäuchlings auf Schemeln vor riesigen Sandsteinrädern, um beim Schleifen die Körperkraft zu nutzen. Das Wasser der Bäche trieb die Räder an. Feuchter Sand und Steinstaub verdreckte die Lungen. Niemand wurde hier alt. Und erst die Buddelei im Bergwerk: Pro Jahr und Mann einen Meter, weiter kam man nicht mit Hammer und Meißel. Die Edelsteinminen des Steinkaulenbergs sind heute ein Besucherbergwerk. Aus dem harten Fels, dem Muttergestein, wurden die begehrten „Drusen“ herausgearbeitet. In den Drusen, das sind Steinblasen mit harter Schale, steckten die Kristalle: Rauchquarze, lila Amethyste, glitzernde Bergkristalle, Kalkspat, Achate ... Sie stecken immer noch im Berg, für die Besucher mit starken Scheinwerfern dekorativ angestrahlt. Kaum zu glauben, daß dieses Bergwerk schon vor über 100 Jahren aufgegeben wurde. Aber die Antwort kenne ich bereits, bevor mich der Fremdenführer belehrt: Es lohnt sich nicht mehr.

Ausklang. Unbekümmert und unbeeindruckt vom ökonomischen Todesurteil, daß alles „nicht lohnt“, machen sie, was sie für richtig und wichtig halten, nämlich Buddeln, Schneiden, Schleifen. Die Digger sind noch unter uns. Weit außerhalb des Ortes, in der historischen Geracher Wasserschleife, kreischen die Maschinen, es ist so heiß und feucht, daß es in der Werkstatt beinahe dampft. Hier werden die frischen Funde vom Steinbruch bearbeitet. Und Fundstellen, so erfahre ich, gibt es im Bergland von Saar und Nahe dutzendfach. Nicht bloß verzottelte Einzelkämpfer, auch komplette Familien sind hier bei der Arbeit. Männer spalten Steine, Frauen sortieren die Kristalle. Und zur Stärkung gibt es im Gastraum Klassisches: Rindsbouillon mit Ei. Ein Hauch von Abenteuer. „Die Idarer sind“, meinte schon Fritz Klein, „von Natur geheimnisvoll mit dem Edelstein verbunden.“