Warten auf die Zukunft

■ „Vera Kant“, „Nirvana“, „U2“ und die anderen. Oder: Eine Huldigung auf einen Underground-Club in Groningen anläßlich einer fein-kleinen Plakatausstellung im Lagerhaus zu Bremen

Das „Vera Kant“ in Groningen ist ein legendärer Ort. Die Leute erzählen sich, was für tolle Typen dort schon vor einer handvoll ZuhörerInnen gespielt haben und wie sie später dann so richtig berühmt geworden sind. Auch die Christkinder von U2 sind im Keller aufgetreten. So um 1980 muß das gewesen sein, und Sänger Bono hatte furchtbar Zahnschmerzen. Natürlich haben auch „Nirvana“ dort gespielt, und Tausende von Typen wollen im Nachhinein dabei gewesen sein, aber auch an jenem Sonntagabend war das Vera nicht gerade übermäßig voll. Aber „Nirvana“ sind das gegenwärtigste Stück Geschichte, und mit Cobain irgendwann in einem Raum gewesen zu sein, kommt hinterher einer Papst-audienz gleich.

Erinnert sich eigentlich noch jemand an diesen Kurt Cobain aus Seattle? Er war ein Typ von so vielen, die in einem kleinen Underground-Club in den Niederlanden, über die Bühne geflogen sind, die dort gekackt, gefuttert, geknackt haben.

Bis zu „Nirvana“ (oder waren es „Green Day“, „The Toten Hosen“ und „The Sex Pistols“ ...?) war alles eitel Sonnenschein auf der europäischen Tourkarte. Eine rechtschaffende Band konnte sich ein Gefährt mieten und durch die Lande gondeln, wohl wissend, daß man abends von anderen rechtschaffenden Mitgliedern eines ominösen Netzwerkes aufgenommen und bewirtet wurde. Lokale Veranstalter kümmerten sich um die unkommerzielle Form der Organisation, und weit in die 90er hinein tourte dann bald alles, was die Märker für einen VW-Bus zusammenbekam.

Sowas konnte nicht lange gutgehen. Bald gab es dann Grunge vom Laufsteg und den „Heroin-Look“ später selbst bei „Hertie“. Man organisierte den eigenen Konsum im politisch privaten Alltag, bis „Underground“ als Stilrichtung endgültig salonfähig wurde. Die letztmögliche Form einer Bohème verabschiedete sich aus der Geschichte, und es bleiben nur die Plakate an den Wänden.

Filmposter haben echte Gemälde als beliebtesten Wandschmuck ersetzt. Konzertplakate sind etwas anderes, haben mehr was von Fotoalben oder einer Ahnengalerie. Es war und ist eine interessante Zeit, und wenn es das „Vera Kant“ auch schon einige Tage länger gibt, so waren die letzten zehn Jahre im Groninger Club wahrscheinlich die auffälligsten und musikhistorisch die wichtigsten sowieso. Für jeden ernsthaft interessierten Musikfreund mit dem Autokennzeichen „HB“ ist ein Trip über die Grenze schon deshalb ein Muß, weil jede halbwegs gute Band an Bremen, der Schunkel-Pogo-Hauptstadt, vorbeisegelt. Das Programmheft, drucktechnisch ebenso schön gestaltet wie die Plakate, liegt sowieso im ganzen Norden aus.

Schnell ist man mal wieder in Groningen, schiebt sich die traditionellen Pommes am Marktplatz rein und trifft Leute, die vom Ruhrgebiet hochgefahren sind, um „Melt Banana“, „U.S.Maple“, Ken Ishii oder sonstwas zu sehen, wovon der Bürger keine Ahnung hat.

Die Siebdruck-Plakate zu den Konzerten im „Vera Kant“ sind Relikte einer guten Zeit, den mobilen 90ern und längst für sich Legende. Keine Band, die im Vera gastiert hat, die nicht morgens versucht, die Poster vom Vorabend von den Wänden zu knibbeln. Ein Vera-Plakat von der eigenen Band ist die ultimative Trophäe für alle, die ihr Herz den rauchenden Verstärkern verschrieben haben.

Hergestellt in der hauseigenen Siebdruckwerkstatt, fassen die Poster den Geist einer verqueren Zeit, die sich bei allem bedient und nur wenig eigenständiges produziert hat. Die Tiefe liegt in der Ironie der verwendeten Symbole, die ohne Grundkenntnisse der allgemeinen Popkultur nur schwer zu deuten sind, ein komplizierter Drahtseilakt zwischen Kunst und Werbung.

Die Poster des holländischen Kunst-Kombinats erinnern dabei natürlich an Frank Kozik, den König der Diebe, wenn sie auch nicht ganz so zuckerbunt sind. Aber von Kozik zu klauen ist eh bedeutungslos, und die Holländer sind an vielen Stellen besser, vielfältiger und origineller. Wo Kozik niemals einen Hehl daraus macht, daß man bei ihm nichts anderes betrachtet als ein wertloses Stück Reklame, stehen die Vera-Poster für ein Stück authentische Geschichte, für die Mühe und die Sorgfalt, die man der eigenen Kultur mal entgegengebracht hat.

Das Lagerhaus zeigt jetzt eine Auswahl der besten Vera-Plakate, eine sehr schöne, kleine Ausstellung, die von Überschall Records angeleiert wurde. Tommy Blank

„Vera Kant“-Plakate bis 3. April im Lagerhaus-Café, Schildstraße 12-19