■ Zur Einkehr
: Mit Harry Rowohlt bei „Onkel Hans“

Der Schnellimbiß „Onkel Hans“ist Vegesacks erste Adresse für eine Küche zwischen Friteusen-tradition und Mikrowellenavant-garde. Die Spezialität des Hauses bleibt die Curry vom Rost mit Pommes, aber internationale Gerichte aus dem Iglo-Bistro fehlen auf der Karte ebenso wenig wie die zeitlose „Heiße Hexe“.

Touristisch ist das Lokal günstig gelegen; von hier erreicht man bequem die hoch in den Himmel ragenden Walkiefer, Vegesacks Antwort auf den Eiffelturm, und die Kriegsgefangenengedenksteine, Nord-Bremens Stonehenge. Dort tummelt sich im Sommer alles, was Beine hat: Sonnenanbeter, Matrosen, Punker, Hunde, Gaukler, noch ein paar Hunde mehr und mannigfaltige andere Lebewesen. Wer zumindest theoretisch auf zwei Beinen durchs Leben geht und einigermaßen volljährig aussieht, ist damit beschäftigt, bei „Onkel Hans“alkoholische Getränke zu erwerben. Wer noch nicht über den Tresen gucken kann, ist damit beschäftigt, die leergetrunkenen Flaschen einzusammeln und sie gegen Geld oder Lakritzschnecken einzutauschen. Der Laden brummt in warmen Monaten.

Betritt man den Imbiß hingegen an einem klimatisch unentschlossenen Aprilabend, schauen die beiden Einbecker-Urbock-Trinker, die zum Inventar zu gehören scheinen, erst mal verblüfft. „Ja-ha, wir haben Gäste!“erklärt die Wirtin ihnen die Situation. Sie meint: Wir haben einen Gast, der nicht jeden Abend hier ist. Die Erklärung wird akzeptiert, die Männer wenden sich wieder ihrem Bier und dem Gespräch zu, wer wen wann zuletzt wo gesehen hat, und was der jetzt so macht. Die Wirtin widmet ihre ganze Aufmerksamkeit dem neuen Gast. „Die Curry als Brat oder Krakauer?“fragt sie dreimal in zwei Minuten, dicht gefolgt von der Frage „Auf die Pommes was drauf?“

Wartet man auf die Mahlzeit, kann man sich der dem Wasser zugewandten Wand zuwenden. Die ziert neben Sinnspruchtafeln aus Holz/Metall-Imitat („Lieber besoffen und lustig als nüchtern und doof“) eine Auswahl von „Onkel Hans“-Zeitungsartikeln aus vier Jahrzehnten. Den Menschen Onkel Hans hatte es tatsächlich gegeben, aber der alte Seebär hat längst seine letzte große Reise angetreten. Nun schmeißt Inhaberin Elisabeth Schmitz den Laden. Im Verkauf selbst ist sie kaum noch tätig, dafür hat sie eine Hilfe. Die dirigiert sie – bequem von ihrem Drehstuhl aus, sollte die Situation unübersichtlich werden; beispielsweise, wenn mehr als ein Gast auf einmal bedient werden muß.

Diese Situation trat tatsächlich an jenem Aprilabend ein, an dem der unterzeichnende taz-Gastro-Kritiker seine Krakauer-Curry mit Pommes ohne was drauf verspeiste (Merke: Bei Currywurst muß auf die Pommes nichts drauf, weil auf der Wurst schon genug drauf ist). Sogar prominent war der zweite Gast, prominent und leicht verärgert. Er war kein Stammgast, sah aber wie einer aus und erregte so nur minimales Aufsehen. Harry Rowohlt sollte in fünf Minuten eine Lesung in einer nahegelegenen Spielstätte abhalten, und der Veranstalter hatte ihn unbeabsichtigt beleidigt, indem er ihn auf Plakaten erst als „Verlagsgründersohn und Autor einer Nonsenskolumne“bezeichnet und ihm dann auch noch ins Gesicht gesagt hatte, er könne froh sein, nicht Wiglaf Droste zu sein, weil bei dem ja immer viel zu viele Leute zu den Lesungen kommen. Dieser Ärger mußte mit einer Bockwurst erstickt und einer Dose Fanta heruntergespült werden. „Bockwurst! Habt ihr sowas?“grollte der Verlagsgründersohn. „Soll ich die warm machen?“fragte die Wirtin und klärte über die damit verbundenen Risiken auf: „Dann platzt die aber.“Rowohlt ging das Risiko ein und verlor. „Geplatzt und wässrig“lautete sein Urteil. Selbst Schuld. Wer ißt bei Onkel Hans schon Bockwurst?

Andreas Neuenkirchen

Rohrstraße 1, Vegesack