Betr.: Ernst Klee

Der heute 55jährige Publizist wird oft als „Professor“ angesprochen – ganz so, als ob Menschen wie er über höhere akademische Meriten verfügen müßten, wenn sie zu den tonangebenden Personen in der Debatte um die braune Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland gehören. Dabei hat der Hesse Ernst Klee, heute 55 Jahre alt, den soliden Beruf eines Heizungs- und Sanitärtechnikers erlernt, ehe er mit 24 Jahren Theologie und Sozialpädagogik zu studieren begann.

Klee versteht sich darauf, auch außerhalb des intellektuellen Betriebs mit seinen Anliegen Aufsehen zu erregen – so ähnlich etwa wie der „Von unten“-Rechercheur Günter Wallraff, nur gründlicher. Die Frankfurter Verkehrsbetriebe legte er einmal lahm, weil er mit einem Freund im Rollstuhl Straßenbahn fahren wollte – und damit das Gezeter vieler auf Eile drängender Bürger provozierte. Dem Streiter für eine menschlichere Welt ward inzwischen guter Lohn zuteil. Heute werden öffentliche Verkehrsmittel meist mit einer Technik versehen, die es auch Rollis ermöglicht, nicht draußen zu bleiben.

Sein 1985 erschienenes Buch „Euthanasie“ im NS-Staat wurde zunächst als ungebetene Einmischung in den Forschungsbetrieb zurückgewiesen. Inzwischen zählt es zu den wichtigsten Dokumenten zur NS-Medizinforschung. In seiner jüngsten Veröffentlichung unter dem Titel Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer – 554 Seiten, 58 Mark; wie alle anderen auch im S. Fischer Verlag erschienen – heißt es: „Auschwitz war die Hölle für die Häftlinge und der Himmel für die Forschung, die sich hemmungslos des ,Menschenmaterials‘ bediente.“

Für seine Arbeit über „honorige Mörder“ aus Wehrmacht, Medizin und Kirche erhielt Klee den Kurt-Magnus- Preis der ARD und den Adolf- Grimme-Preis. Die Laudatio für den Geschwister-Scholl- Preis empfindet der „liebenswerte Chaot“, so Freunde, als „hervorragenden Nachruf“ – er fühle sich schließlich noch lebendig genug, viele weitere Mißstände anzuprangern. ll