■ Welt Weit Grönling
: Extreme Nähe zur Eröffnung

Neu! Sensationell! Einmalig! Mit Attributen dieser Art wird auch der abgebrühte Internet- Beobachter ständig überschüttet – auf Webseiten, die den Umsatz ankurbeln sollen, in unverlangt zugesandten und äußerst grauenhaften PR-Texten, ja sogar in den angeblich seriösen Agenturmeldungen taucht das mitunter auf. Auf der Suche nach den Dingen, die uns gerade noch gefehlt haben, stößt er immer wieder auf spektakuläre Internet-Neuheiten, die sich bei näherem Hinklicken als genau der kalte Kaffee entpuppen, der auch durch wiederholtes Aufwärmen nicht besser wird.

„Erstmals können die Europäer in diesem Jahr Weihnachtsgeschenke per Internet kaufen“, meldete die Deutsche Presse- Agentur. Erstmals? Vor vielen Jahren hab' ich doch schon mein Lieblingsbuch „Winnie the Pooh“ (das englische Hardcover- Original!) bei einem Online- Bookshop bestellt, um es einer guten Freundin an den Baum zu hängen. Buch- und CD-Versender machen gute Geschäfte im Internet, auch My-World-Karstadt und viele andere. Aber ahnungslosen Lesern kann man solche Meldungen verkaufen, und so findet sich diese Unsäglichkeit dann auch in den einschlägigen Frühstücksblättern, ohne daß sie einer kritischen Überprüfung unterzogen wurde.

Daß neben BMW, Herlitz und 50 anderen auch Microsoft beim Projekt „e-Christman“ mitmischt, macht die Sache offenbar interessant. Wunderknabe Billieboy jetzt auch im Versandhandel? Letzten Montag sollte große Eröffnung sein, aber wer jetzt www.e-christmas.com anklickt, erlebt eine nette Überraschung: Gähnende Leere, bis auf ein paar Bildchen. Aber es ist „extremely close to opening“, steht dort in einem Schriftgrad, der sich am besten für Briefmarkenränder eignet. Typisch Gates: Erst eine sensationelle Neuheit ankündigen, die gar keine ist – und dann ist das Ganze zum Starttermin noch nicht mal fertig.

Aber dem reichsten Mann der Welt wird es bestimmt auch möglich sein, die Weihnachtsfeiertage auf Anfang Januar zu verschieben. Das wär' doch wieder eine riesige PR-Aktion, die sich wunderbar in Agenturmeldungen verkaufen ließe. Dafür würde sogar die ARD das laufende Programm unterbrechen. Wann lernen deutsche Journalisten endlich, mit dem Internet umzugehen wie mit jedem anderen Medium? Und mit Herrn Gates wie mit jedem anderen Geschäftemacher? Die Meldung über das neue Online-Kaufhaus ist genauso unbedeutend wie eine über den Start der siebzehnten Klinikserie auf Sat.1. Dieter Grönling

dieter@taz.de