■ 1860 hilft bei Suchtreduzierung
: Ich hör' jetzt auf damit

gewidmet Kurt Josef Kraus

und Achim Bergmann

Ich muß gestehn, ich hatte noch nie eine schlaflose Nacht wegen irgendwelchem Kram, der so in Serbien passiert, aber ich habe auch meine Probleme. Im Grunde ist es nur ein Problem: Ich bin der absolute Suchttyp, ich bin die fleischgewordene Sucht.

Unter anderen gehören zu meiner Sammlung Alkohol, Fernsehn, Fingernägel, Fußball, Lesen, Platten, Schreiben, Zigaretten. Ich bin fast 38 – da fängt man an zu überlegen, was man vielleicht reduzieren könnte. Redu was?! Das ist aus dem Wortschatz von meinem Arzt! Der übrigens ganz okay ist, er sagte einmal: „Mensch, andere rauchen doch auch!“

Ich schrieb also diese emotional überbelegten Begriffe auf (s.o.) und stieg ein in Phase 1: Setze dich auseinander! Leicht gesagt, wenn man Realist ist! Ich wußte sofort, daß von der Liste nichts gestrichen werden kann. Außer die Flimmerkiste vielleicht. Außer wenn einer mit 'ner Kanone neben mir steht vielleicht. Aber diese Schweinepriester sind ja nie da, wenn man sie braucht.

„Du?! Fernsehn? Ich wette 50mal Abwasch, daß du nicht mal den ersten Samstag überstehst.“

Verdammt, ich bin ein Suchttyp und kein Irrer. Schließlich waren wir nicht am Anfang der Sommerpause. Aber, wie allgemein bekannt, der Süchtige hat eine Chance, wenn Hilfe von draußen kommt... Ich hatte schon länger gespürt, daß in meiner Beziehung mit Fußball, genauer gesagt, Fernsehfußball, Veränderungen passierten. Sie waren ausgelöst worden durch den Fall Manfred Schwabl vs. TSV 1860 München, das heißt Trainer Lorant und Präsident Wildmoser, die den Spieler und Mannschaftskapitän Schwabl auf eine Art aus dem Team gehauen hatten, über die es nichts zu diskutieren gibt.

Folgende Frage also tauchte dann immer öfter bei mir auf: Warum interessierst du dich eigentlich für eine Sportart, in der zu mindestens 99 Prozent Arschlöcher unterwegs sind? Typen wie Lorant und Wildmoser sind typisch für die Branche – aber daß die Teamkollegen von Schwabl, daß von diesen erwachsenen Männern keiner auf den Tisch haute und leckt mich Adiós sagte, das ekelte mich an, ja, ich sah sie im Fernsehn und spürte sogar körperlichen Ekel, und weil ich leider Realist bin, mußte ich mir sagen: Diese Arschgeigen verhalten sich völlig normal für die Branche... So hatte es also angefangen, daß ich mich etwas weniger für Fernsehfußball interessierte. Von meinem alten Traum, zu jedem 60er Heimspiel nach München fahren zu können, war schon nichts mehr zu spüren.

Und dann traf ich in einem kleinen Fanlokal auf der Nordendstraße meinen alten Freund Hit. Der totale 60er, dagegen bin ich eine Null. Er sah nicht gut aus und war eine Stunde lang nur am Keifen und Fluchen. Der totale Haß – wenn Lorant reingekommen wäre, er hätte ihn gekillt. Und ihm dann die Augen raus- und die Eier abgerissen. Ein Satz ist mir besonders in Erinnerung geblieben: „Ich weiß wirklich nicht, wie lang ich noch bei den Auswärtsspielen dabei bin.“ Päng! – da wußte ich, daß ich eine Chance hatte, eine realistische Chance, mit schon mal zwei von meinen Süchten aufzuhören.

Eins steht fest: Sollten sie Hit erwischen, dann kann er auf mich zählen – ich bin kein Spieler von 1860, ich werde ihn nicht hängenlassen. Und wenn ich die ganze Säbener Straße in die Luft jagen muß. Sie sollen zur Hölle fahren, diese bescheuerten, charakterlosen, lächerlichen Fußballfritzen.

Mir ist egal, ob ran oder Lothar, mich regt nichts mehr auf, ich denke nicht mehr drüber nach, wie es dem Wiggerl geht oder ob Hertha vielleicht besser blablabla. Ich hör' jetzt auf damit. Und ich kann euch sagen, es fühlt sich gut an.

Danke, 60! (Dafür wünsch' ich euch einen Stammplatz im oberen Mittelfeld der Regionalliga Süd für die nächsten 100 Jahre). Franz Dobler