Altböhmisches Reisgericht im Instantbeutel

■ „Verklärte Nacht“, eine literarische Liebeserklärung an Prag von Libuse Moníková.

Ein Mann, eine Frau, eine Liebesgeschichte. Ja, natürlich ist Verklärte Nacht von Libuse Moníková auch eine Liebesgeschichte, doch vor allem ist es eine Liebeserklärung an das alte mystische Prag: Die Stadt der Türme und Brücken, der Alchimisten und der zynischen Herrscher auf dem Hradschin, dem ewig unerreichbaren Schloß. Dieses Prag sucht die Tänzerin Leonora Marty, die nach 20 Jahren Abwesenheit in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehrt und entsetzt ist über die Klondike-Mentalität, die im Schatten des Hradschin gedeiht. Massenware aus Hongkong, Knödel aus Instantbeuteln und „Reissalat auf vegetarianisch“, die Prager Gastronomen dienen ihre „altböhmische Küche“ noch immer den Devisentouristen an, und die Tänzerin taucht angeekelt vom Prag der Gegenwart ein in das „Goldene Prag“ der Vergangenheit.

Wie ein „tourist guide“ führt Libuse Moníková in ihrer Erzählung vom Strahov-Stadion nach Vysehrad und gräbt ihre eigenen Erinnerungen und die alten Legenden Prags aus. Immer wieder macht die Chronistin kleine Abstecher in die politische Gegenwart der Neunziger und erzählt, wie die Tschechen auf wahrhaft Schwejksche Weise die russischen Truppen nach der samtenen Revolution aus dem Land komplimentierten. Knapp anderthalb Jahre nach Beginn der Verhandlungen verließ der letzte russische Soldat die Tschechoslowakei – „so schnell ging es sonst nirgends“, merkt die Autorin stolz an.

Ewigkeit und Vergänglichkeit, die Manifestationen der Macht und die banalen Schwindeleien des Alltags sind die Grundthemen des Buches. Vielleicht wirkt Verklärte Nacht deswegen stellenweise wie ein weit geöffneter Zettelkasten, in dem die Germanistin alles gesammelt hat, was ihr so ein- und zugefallen ist: Zeitungsausschnitte, Opernlibretti, Auszüge aus Biographien. Von einem Ausflug ins Tal der Königinnen katapultiert sie ihre Protagonistin auf den Reichsparteitag der Nazis in Nürnberg, zur Materialschlacht der Filmerin Leni Riefenstahl.

Und die Liebesgeschichte? Eine Tschechin und ein Deutscher begegnen sich in dieser seltsam leeren Zeit „zwischen den Jahren“ und streiten darüber, ob die Gans nun an Weihnachten und der Karpfen an Neujahr gegessen wird. Eine ganz gewöhnliche Geschichte also.

Diemut Roether

Lesung: Mo, Universität, Phil C, 19.30 Uhr