Geklaute Autorenschaft

■ Wer hat den Fernsehturm am Alex entworfen? / Am originalen Schauplatz erzählte der Architekt Dr. Fritz Dieter seine Version der offiziellen Geschichte

„Als das berühmte Lichtkreuz auf der Kugel des Fernsehturms erschien, da verschwanden unsere Namen.“ Mit dieser Ankündigung erweckte Dr. Fritz Dieter, einer der Architekten des Wahrzeichens vom Alexanderplatz, Spannung auf der Eröffnung der Ausstellung „Sendezeit“ am Donnerstag abend. Denn damit kratzte er heftig am Ruhm von Herrmann Henselmann, Repräsentant der DDR- Architektur und des Alexanderplatzes en gros und en detail.

Manchmal dient die Kunst als eine Mogelpackung, in der sich das wirkliche Leben verbirgt. „Sendezeit“ ist die dritte Phase des Projekts „a space without art“ nach einer Idee von Klara Wallner: Die beteiligten Künstler präsentieren keine Texte, sondern kommentieren in Katalogtexten den „Ausstellungs“-Ort – diesmal den Fernsehturm – Gegenstand ihres Interesses. Teil des Konzepts, einen vertrauten Ort neu im Spannungsfeld von Kunst, Technik und Geschichte einzuordnen, war der Rückblick auf die Story der geklauten Autorenschaft.

Zum ersten Mal erzählte Dieter seine Geschichte öffentlich und am originalen Schauplatz, hoch über der nächtlichen Stadt, im sich langsam drehenden Telecafé. Zusammen mit dem Kollegen Franke, der für den Schaft bis in eine Höhe von 185 Metern zuständig gewesen ist, habe er den Sendeturm als technisches Bauwerk entworfen. Dieter legte großen Wert auf die Betonung der Funktionalität, durch die sowohl die Höhe des Turms von 365 Metern, der prominente Standort und die Größe des in der Höhe schwebenden Baukörpers vorgegeben war. Damit wehrt er sich gegen die Interpretation des Turms als politischen Symbols der DDR und Triumpf sozialistischer Baukunst. Denn diese Bewertung lädt die Frage nach dem Autor mit politischer Brisanz auf.

Für ihn und seinen langjährigen Partner habe sich das Problem gestellt, wie sie ein Gebäude von der Dimension eines elfgeschossigen Wohnhauses hoch über dem Platz installieren konnten, ohne daß der Fußgänger jeden Moment den Absturz der Baumassen befürchten mußte. Als Lösung entwickelten sie die Konstruktion einer aufgehängten Kugel, mit der für die technischen Funktionen eine gestalterische Form gefunden wurde, auf die der Architekt stolz ist.

Mit der Eröffnung am 20. Jahrestag der DDR erreichte die beteiligten Architekten und Ingenieure, von denen laut Dieter keiner in der SED war, ein Namensnennungs- und Publikationsverbot. Statt dessen seien Parteimitglieder als Autoren aufgetaucht – und Herrmann Henselmann. Gegendarstellungen seien unterdrückt worden, Proteste gescheitert. Die Fälschung der Geschichte wurde in offiziellen Darstellungen zur Architektur der DDR fortgeschrieben. Beteiligt an dieser Täuschung sei der Architekturhistoriker Bruno Flierl gewesen, langjähriger Herausgeber einer Fachzeitschrift. Zwanzig Jahre lang bemühte sich die Frau des Architekten Dieter um eine Anerkennung seiner Leistung. Sie erreichte schließlich eine juristische Richtigstellung, die Dieters Arbeit in Fachkreisen zwar langsam wieder bekanntmachte. Doch die Kolossalfigur Henselmann blieb davon merkwürdig unberührt. Zu der anhaltenden Verunklärung der Autorenschaft trug die Verwischung der Begriffe „Entwerfer“ des Konzepts Alexanderplatz, „Architekt“ des Fernsehturms und „Erbauer“ bei. Henselmann, ergänzte Dieter, habe sich zum Beispiel nicht Architekt, sondern Agitator des Fernsehturms genannt – und diese Rolle erfüllte er mit Furor.

Fragen bleiben: Wie wurde das Namensnennungsverbot begründet? Warum hat Dieter seine Geschichte erst jetzt erzählt? Warum in diesem Kontext und nicht auf einem Architektur-Podium? Doch wichtiger scheint die Klärung – wer ist Herrmann Henselmann, und wofür ist er tatsächlich als Architekt verantwortlich? Denn auch heute noch vertritt der alte Mann auf Diskussionen über den Umbau der Stadt die Architekten der DDR. Katrin Bettina Müller