Zeichen des Neuen in das Land setzen

Serie: Umland-Utopien (achte Folge) / Der Verein Energiedezent hat in kurzer Zeit die Region zwischen Wittstock und Kyritz zu einem Musterbeispiel für die Nutzung von regenerativen Energien gemacht / Erste Windkraftanlage Brandenburgs  ■ Von Gerd Nowakowski

Weit geht der Blick vom Hügel. Von oben kommt das sanfte Rauschen der sechzehn Meter langen Flügel, während hoch über dem fast vierzig Meter hohen Turm die Wolken vorbeihuschen. Einige hundert Meter entfernt drehen sich die Propeller von zwei weiteren Windkraftanlagen. Ab und zu surrt es, dann führt ein Motor den riesigen Propeller der veränderten Windrichtung nach. Ein Weißstorch schwebt in geringer Entfernung vorbei, und weiter oben zieht ein roter Milan ruhig seine Kreise. Unten steht Gert Großer und erzählt von diesem wunderbaren Gefühl, als die Anlage endlich lief. „Das hat was in Bewegung gebracht“, fügt der große, kräftige Mann mit der Vollglatze hinzu und verfolgt mit den Augen die großen Rotoren. Er weist in Richtung der Autobahn Berlin–Hamburg, die nahe an den Anlagen vorbeiführt. Rund 27.000 Menschen, so wissen sie von einer Verkehrszählung, fahren jeden Tag an den Rotoren vorbei. Auch das sei ein Grund gewesen, die allerersten Windkraftanlagen des Landes Brandenburg dorthin zu stellen, denn eigentlich waren die Windwerte im nahe gelegenen Warnsdorf noch ein wenig besser.

Etwas in Bewegung bringen und zeigen, daß man die Naturreserven umweltverträglich nutzen kann und regenerative Energien sich rentieren, will Gert Großer. Seit 1976 lebt der ehemalige Verlagsbuchhändler aus Ost-Berlin in der romantisch und abgelegen liegenden Kuckucksmühle nahe der Ortschaft Grabow. Das mächtige und jahrhundertealte Gebäude mit den schattigen Räumen ist heute die Zentrale des Vereins „Energiedezent“.

Gert Großer macht die Geschäftsführung, und auch seine Frau arbeitet im Büro mit. Seit über zwei Jahren bauen die 44 Mitglieder des Vereins hier im Nordwesten Brandenburgs ein Netzwerk der Möglichkeiten auf und entwickeln die gesamte Palette der umweltschonenden Energiegewinnung. Man müsse die Möglichkeiten pragmatisch und weniger ideologisch angehen, ist der fünfundvierzigjährige Großer überzeugt. Der missionarische Anspruch reiche nicht, die Sache müsse auch rentabel sein für die Landwirte der Gegend, sagt Großer mit dem Wissen um die skeptische Natur des ansässigen Menschenschlags.

Mag sein, daß der bewiesene Pragmatismus das Image von Öko- Spinnern erst gar nicht aufkommen ließ, mag sein, daß es an der Verbundenheit der Mitglieder mit der Gegend liegt. Großer war SED-Mitglied und elf Jahre lang Bürgermeister der Ortschaft Grabow – „wenn man den Sozialismus aufbauen will, muß man selbst anpacken“, glaubte er damals. Was der Verein aufgebaut hat, ist beeindruckend: neben den drei bis zu 1,2 Millionen Mark teuren Windkraftanlagen, die den erzeugten Strom ins öffentliche Netz einspeisen, betreibt der Verein auch die größte Solarenergieanlage des Landes Brandenburg. Geheizt wird damit das Wasser des Hallenbads der Kreisstadt Wittstock. Selbst im Winter bei minus fünf Grad habe die Anlage das Badewasser noch ausreichend aufgeheizt, bestätigt der technische Leiter des Wittstocker Bades, während er die entsprechenden Meßprotokolle auf dem Tisch ausbreitet. Und in einer alten Kornmühle in der Region wird derzeit eine Wasserturbine zur Stromerzeugung installiert.

In dem halbdunklen Zimmer mit den uralten Möbeln, wo man glauben könnte, mit der defekten Standuhr von 1804 sei auch die Zeit stehengebleiben, greift Großer in die Zukunft aus. Fertiggestellt ist eine Wasserkraftpotential- Studie der Priegnitz. Nun könne man das Konzept von Wasserstaustufen zur Stromgewinnung angehen, erzählt der Mann, der Ruhe und Energie zugleich ausstrahlt. Diskutiert wird im Verein, in Zusammenarbeit mit Vogelkundlern einen trockengefallenen See wieder aufzustauen, um damit seltene Vögel wieder anzusiedeln und zugleich mit einem Stauwehr und einer Turbine Strom für eine Schule zu erzeugen.

Ununterbrochen erweitern die Mitglieder des Vereins ihre Aktivitäten. Entwickelt werden beispielsweise auch Biogas-Anlagen. Zugleich ist man dabei, über die Nutzung des reichlich vorhandenen Holzes nachzudenken. Zum Heizen sei die Verwendung von Holzhackschnitzelöfen eine umweltfreundliche und rentable Alternative zu Gas- und Öl-Verbrauch. In der waldreichen Umgebung ist Holz billig, Waldpflege aber sehr teuer. Ohne einen einzigen Baum fällen zu müssen reiche das auf einer Fläche von 10 Hektar am Boden liegende Bruchholz aus, ein Bauernhaus über den Winter zu beheizen, hat „Energiedezent“ ausgerechnet. Den Vereinsmitgliedern schweben eigenständige Betriebe vor, die Holz sammeln und für die Holzschnitzelöfen vorbereiten. Damit würden Arbeitsplätze geschaffen, Heizmaterial produziert und zugleich der Wald gepflegt.

Fünfzehn feste Arbeitsplätze geschaffen

Die abseits gelegene Region wirtschaftlich zu entwickeln gerät dem Verein als Ziel nie aus den Augen. Fünfzehn feste Arbeitsplätze sind seit dem Start geschaffen worden; weitere werden hinzukommen, wenn die Niederlassung einer holländischen Windkraftanlagen- Firma in Pritzwalk ihre Produktion beginnt. Auch diese Unternehmens-Ansiedlung sei ein Ergebnis ihrer Arbeit. Entstanden ist außerdem ein eigenständiges Projektierungs-Büro. Die Windkraftanlagen hätten wie „Zeichen in der Landschaft“ gewirkt; seitdem seien rund 300 Anfragen gekommen. Der Verein vermittelt Windgutachten, klärt die Hürden der öffentlichen Förderung, hilft bei den Anträgen und verhandelt mit den Energieunternehmen über die Abnahme des zuviel produzierten Stroms. Fünfundzwanzig Anlagen stünden derzeit kurz vor der Realisierung, erzählt Großer stolz.

Ein paar Kilometer weiter führt Vereinsmitglied Veikko Dölz auf seinem Bauernhof ein weiteres Projekt von „Energiedezent“ vor. Der bärtige Mann im Schlosseranzug installiert auf seinem Dach gerade selbst Sonnenkollektoren. In seiner großen Scheune hat der Verein außerdem eine Werkstatt eingerichtet, um die Kollektoren nach einer in Österreich entwickelten Technik zu bauen. Der Wirkungsgrad der besonders für den Selbstbau geeigneten Konstruktion sei zwar etwas geringer als industriell gefertigte Solaranlagen, doch ausreichend, um das ganze Jahr über für warmes Wasser in Bad und Küche zu sorgen. Vor allem aber sind die Selbstbauanlagen weit billiger. Auch dies spricht sich herum: fünfzehn Anlagen sind gegenwärtig in Bau.

Später, unter dem Abendhimmel und den Windrotoren, verweist Großer auf weitere Erfolge der Idee. Die Gemeinde Warnsdorf wird ebenfalls eine große Windkraftanlage errichten und das nicht weit entfernte Nettelbeck ebenfalls. Eines aber hält Gert Großer für einen besonderen Erfolg ihrer Arbeit: Der Landrat, der ihrem Projekt lange ablehnend gegenüberstand, ist seit kurzem Vereinsmitglied.

Kontakt: Energiedezent,

Kuckucksmühle, O-1931 Grabow

bei Blumenthal.

Die Serie wird am nächsten Freitag fortgesetzt.