Eine Zeitung für Obdachlose

■ Der Informationsdienst "BINFO" der Initiative gegen Wohnungsnot will mehr Menschen für das Thema sensibilisieren / Seit vier Jahren Forum für Obdachlose

Wenn Brenda-Maria Lal Gedichte schreibt, schreibt sie von der Straße, auf der sie lebt, von Kälte, Selbstzerfleischung, dem Hämmerchen im Hinterkopf, den vollgesogenen Alk-Schwamm-Gefühlen. „Wenn Kälte dich schüttelt, dich Panik aufrüttelt, die wirren Gedanken und Bilder deine Unruhe nähren – die nächste Flasche wird dir alles erklären!“ heißt es in ihrem Gedicht „Die Flasche hat die Macht ergriffen“, abgedruckt in der neuesten BINFO-Ausgabe.

Pünktlich zur Nacht der Wohnungslosen, die heute abend auf dem Breitscheidplatz beginnt, erschien vorgestern die neueste Ausgabe von BINFO, dem Informationsdienst der Berliner Initiative gegen Wohnungsnot. Sie berichtet über die „AG City“, eine Gruppe aus Lokalpolitikern und Kaufleuten, die sich alle paar Monate treffen, um gegen den „Dreck am Ku'damm“ – Bettler, Fixer, Obdachlose – vorzugehen. Verschiedene Berliner Projekte werden vorgestellt wie die Notübernachtung, die die Epiphaniengemeinde auch im Sommer anbietet, die Suppenküche in der Wollankstraße und das bedrohte „Haus Gaina“ für obdachlose Frauen.

Seit über vier Jahren ist BINFO ein Forum für Wohnungslose, die von ihren Erfahrungen und ihrer Geschichte erzählen können. Hier berichten Lars und Norbert von einem Überfall Rechtsradikaler auf sie in der S-Bahn nach Strausberg. Weil Norbert seine Stiefel nicht rausrücken wollte, gab es Prügel. Melanie schildert ihren Rauswurf aus einer Wohnung, deren Miete von knapp 800 Mark das Sozialamt nicht zahlen wollte. Jetzt ist sie 20, im sechsten Monat schwanger und wohnt mit ihrem neuen Freund in einem 17-Quadratmeter-Zimmer in einer Pension. „Die Höhe der Miete für die Wohnung fand das Sozialamt nicht angemessen – die Kosten von 2.400 Mark für die Pensionsunterbringung finde ich nicht angemessen.“

Auch werden im BINFO die neuesten Zahlen und Entwicklungen zur Wohnungslosigkeit in Berlin beschrieben, Fachtagungen angekündigt und dokumentiert, ein Pressespiegel abgedruckt und die Wärmestuben Berlins in einer Serie vorgestellt. Regelmäßig geht es auch um sozialpolitische Themen, wie in dieser Ausgabe das zweischneidige Sozialsponsoring.

Die Redaktion von BINFO besteht aus vier bis acht SozialarbeiterInnen und BeraterInnen aus dem Wohnungslosenbereich. Die fünf, manchmal auch sechs Ausgaben pro Jahr wurden an Abonnenten und Interessenten verschickt oder bei Veranstaltungen verteilt. „Wir hätten Stoff genug für eine monatliche Ausgabe“, sagt Mitarbeiter Hugo Planert, „aber die personellen und finanziellen Kapazitäten reichen dafür nicht aus.“ Sämtliche Redaktionsmitglieder arbeiten ehrenamtlich, tagen in einem Beratungsbüro der Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werks und verfügen nicht einmal über einen Computer.

„Zunächst war BINFO eher gedacht für Fachpublikum und Betroffene“, sagt Sozialarbeiter Thorsten-Arne Meyer. Im Vorfeld der heute stattfindenden europaweiten Nacht der Wohnungslosen beschloß die Redaktion, das Konzept zu überdenken. „Bei den Politikern ist zur Zeit nicht viel zu holen, obwohl immer mehr Menschen obdachlos werden“, sagt Planert. „Da hilft es nur noch, möglichst viel Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.“ Von jetzt an erscheint BINFO nicht mehr auf zusammengehefteten Kopien, die 400mal vervielfältigt wurden. Das neueste BINFO ist ein gedrucktes Heft mit einer Auflage von immerhin 2.000 Stück.

Die vorletzte BINFO-Ausgabe erschien ebenfalls erst vor wenigen Tagen als Berliner Lokalteil zur casa nostra, Zeitung zur Nacht der Wohnungslosen. Hier hat beispielsweise ein Professor der evangelischen Fachhochschule errechnet, was in Berlin eine Wohnung im Durchschnitt an Miete kostet, differenziert in Altbauten, frei finanziertem oder sozialem Wohnungsbau. Die überregionale casa nostra, herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, bietet darüber hinaus zahlreiche Daten zur Wohnungsnot in Ost und West, sozialpolitische Einschätzungen, Beschreibungen von Obdachlosenunterkünften und einen Frauen- Schwerpunkt. Corinna Raupach