Zwischenwelt eines humanen Visionärs

■ Die Autobiografie des Stadtplaners Hans Blumenfeld gewährt einen ungewöhnlichen Blick auf das 20. Jahrhundert

gewährt einen ungewöhnlichen Blick auf das 20. Jahrhundert

„Planen ist frustrierend. Das einzig Gute ist, daß es zur Entdeckung neuer Probleme führt.“ In diesem Credo Hans Blumenfelds zu seinem Beruf, der Stadtplanung, drückt sich gleichzeitig eine Lebenshaltung aus, die gestaltend und duldend in einem war und in ihrer somit natürlichen Weisheit eine ungewöhnliche Biografie schrieb. Hans Blumenfeld, Sproß der jüdischen Hamburger Familien Warburg und Blumenfeld, hat in seinen fast hundert Jahren Lebensgeschichte (1892-1988) immer am Rande der geschichtlichen Epizentren agiert und dabei eine Vielzahl von Rückschlägen und Hindernissen mit Güte und ungebrochenem Glauben an gesellschaftliche Veränderung überwunden.

Blumenfeld, der mit 29 Jahren in die KPD eingetreten war und bis zu seinem Tode Marxist geblieben ist, hat über alle gräßlichen Verzerrungen des Begriffs Kommunismus in diesem Jahrhundert hinaus, den Glauben an das menschliche Antlitz einer klassenlosen Gesellschaft bewahrt: „Für mich ist der Kapitalismus aus moralischen Gründen inakzeptabel“ schreibt Blumenfeld am Ende seiner Autobiografie „...es sei denn, sie bauen eine humane Stadt.“ Daß dies ein Mann schreibt, der viele Jahre im kapitalistischen Musterländle Kanada als Stadtplaner tätig war, zeugt von der inneren Größe und der Achtung Blumenfelds für die Leistungen der Sowjetunion, an deren Aufbau er zwischen 1930 und 1937 selbst beteiligt war.

Doch seine ereignisreiche Zeit beginnt weit vor dieser Episode. Nach vagabundierenden Studienjahren, unter anderem in München bei Theodor Fischer und Heinrich Wölfflin, meldet sich Blumenfeld freiwillig zum Kriegseinsatz, denn, „da ich nichts getan hatte, um den Krieg zu verhindern, fand ich, daß ich mich nicht drücken durfte.“ Als Soldat nimmt er an organisierten Anti-Kriegs-Aktionen teil und wird Mitglied der USPD. Nach einem für ihn sehr glimpflich verlaufenen Krieg beteiligt er sich an der Münchner Räterepublik, wo er Kontakt zu Mühsam und Toller bekam. Dort saß Blumenfeld auch neben dem unbekannten Adolf Hitler im vegetarischen Restaurant „Ethos“.

Neben seinem wiederaufgenommenen Architekturstudium beteiligte sich Blumenfeld nach dem Krieg an diversen Aktivitäten der KPD, die ihn auch gelegentlich ins Zuchthaus führten. Danach fand er diverse kürzere Anstellungen: In Hamburg bei den Gebrüdern Gerson und Karl Schneider sowie bei Hans Henny Jahnn während der Restaurierung der Arp-Schnitger-Orgel, und nach einem ersten Zwischenspiel in den USA und Wien bei Joseph Frank und Adolf Loos.

Mit erst verhaltener Euphorie, aber bald begeistert vom neuen Geist in der Sowjetunion verbringt Blumenfeld sieben Jahre als Architekt und Stadtplaner im Mutterland des Sozialismus, bis Stalins Paranoia auch ihn erfaßt und zum Verlassen des Landes zwingt. Trotz dieser Enttäuschung hat Blumenfeld die UdSSR, deren Ende er nicht mehr erleben mußte, und selbst viele Aspekte von Stalins Politik stets verteidigt, ohne jemals in irgendeine Orthodoxie zu verfallen.

Über Frankreich emigrierte Blumenfeld dann 1938 in die USA, deren Staatsbürger er 1944 wurde, die er aber 1955 im Zuge der McCarthy-Verfolgung wieder verließ. Bis 1988 arbeitete und lebte Blumenfeld dann in Toronto als Stadtplaner.

Seine Lebenserinnerungen sind ein Füllhorn an außergewöhnlichen Erlebnissen. Sein Reisefieber, sein Mut und seine Neugier auf neue Menschen, Eindrücke und Herausforderungen lassen die Geschichte dieses Jahrhunderts in einer faszinierenden Zwischenwelt entstehen. Dazu gehören die Bekanntschaft mit vielen geschichts- und kulturprägenden Gestalten ebenso wie Blicke in die persönlichen Nischen von Kulturen.

Lange Abschnitte über Stadtplanung im letzten Teil mögen zwar für den Laien ermüdend sein, bei konzentriertem Lesen entdeckt man aber hier viele visionäre Gedanken zur lebenswerten Entwicklung von Metropolen, die Blumenfelds universell humanen Blick auf das Leben noch einmal eindrucksvoll bestätigen. Till Briegleb

Hans Blumenfeld, „...es sei denn, sie bauen eine humane Stadt.“, hrsg.: Volker Roscher, Birkhäuser Verlag, 305 Seiten, 68 Mark