Koalitionspuzzle: Und alle spielen mit

■ Welche Koalition wird Hamburg künftig regieren? Koalitionspropheten aller Parteien basteln an bunten Strategie-Übungen. Die taz hat zugeguckt.

? Koalitionspropheten aller Parteien basteln an bunten Strategie-Übungen. Die taz hat zugeguckt.

Viele Hamburger PolitikerInnen sind dieser Tage endlich wieder in ihrem eigentlichen Element: intrigieren, spekulieren, kalkulieren, Hausmächte organisieren, Fallen stellen. Besonders reizvoll ist diesmal die Ungewißheit: Zu dem gewohnt chaotisch-wilden Kampf um Listenplätze und Senatsposten mengt sich heuer ein ungewohnt bunter Strauß möglicher Koalitionen und ein ganz großer Unbekannter — der Wahlausgang.

Die Rathaus-Wahlpropheten eint zumindest die Prognose, daß die SPD nicht wieder eine absolute Sitzmehrheit schaffen werde. Gleichwohl steuern die Genossen schon jetzt dagegen: Allerwichtigstes Wahlkampfziel der SPD ist eine hohe Wahlbeteiligung. Nur so glaubt man, die Reps und vielleicht sogar die FDP unter fünf Prozent, sich selbst aber deutlich über der magischen 40-Prozent-Marke halten zu können. Klammheimlich gibt es sie aber — die Hoffnung, es bliebe in Senat und Bürgerschaft fast alles beim alten: Scheitern Reps und FDP knapp an der Fünfprozenthürde, könnten 44 bis 45 Prozent zur absoluten Mehrheit reichen.

Von dieser klitzekleinen Chance lassen sich die fleißigen Koalitionspuzzler nicht abschrecken. Sie kümmern ganz andere Dinge: Droht der SPD vielleicht ein Wahl- Gau à la Hessen — so 33 bis 38 Prozent? Dann nämlich wäre die vermutlich unproblematischste, gleichwohl unwahrscheinlichste Koalition denkbar: Schwarz-Gelb. Dafür allerdings müßten aber CDU und FDP gleichzeitig Rekordergebnisse einfahren, weshalb das schwarz-gelbe Puzzle vorläufig in den Papierkorb wandert. Auch für den Fall eines Sozi-Gaus setzen die Rathaus-Koalo-Zocker ungerührt ihre Jettons auf die Ampel Rot- Grün-Gelb und erst mit gehörigem Abstand auf Rot-Schwarz.

Weit wahrscheinlicher gelten allen Spekulanten freilich folgende Trends: Deutliche Gewinne der Reps, vielleicht sogar bis über fünf Prozent, klare Verluste der SPD, ein Herumkrebsen der CDU bei der Marke ihres Katastrophenergebnisses von 1991, Mühen der FDP, die Fünfprozenthürde von oben zu betrachten und eine deutlich gestärkte GAL — die aktuelle Forsa-Umfrage (SPD: 40, CDU 34, GAL 16, FDP 5, Reps 4 Prozent) stärkt diese Einschätzung. Trifft sie zu, wäre die SPD auf jeden Fall in der zukünftigen Regierung vertreten, egal ob Große Koalition, Ampel, Rot-Grün oder Rot-Gelb.

Die SPD setzt dabei inzwischen voll auf Rot-Grün. Die interne Parole lautet: „Nicht öffentlich darüber reden, aber sich gründlich darauf vorbereiten.“ Damit wird die Wahrscheinlichkeit einer rot- grünen Koalition in den Vordergrund geschoben. Nicht etwa deshalb, weil Hessen und Niedersachsen (rot-grün) im Gegensatz zu Ba-

1den-Württemberg (rot-schwarz) und Bremen (rot-grün-gelb) so gut funktionieren: Hauptgrund ist die Eiseskälte, die sich zwischen SPD und FDP festgefroren hat. Selbst Bausenator Eugen Wagner favorisiert Rot-Grün, hält eine Polit-Liaison mit FDP-Chef Robert Vogel für undurchführbar. Sollte die FDP nicht ganz blitzschnell die sozialliberale Turteltaube Ingo von Münch aus Rostock einfliegen oder den betulich-braven Ex-Wirtschaftssenator Wilhem Rahlfs in die erste Reihe setzen, wird sie es schwer haben, von der SPD an den Kabinettstisch gelassen zu werden.

Das Zerwürfnis mit der FDP hat eine Große Koalition dennoch nicht wahrscheinlicher gemacht,

1obwohl die Hamburger CDU zu wohl fast jeder Schandtat bereit wäre, würde sie von der SPD nur endlich zum Mitregieren eingeladen. Die desolate Lage der Hamburger CDU, ihr Mangel an neuen Gesichtern und attraktiven Inhalten, dazu noch die gerichtliche Abstrafung wg. mangelnder Demokratiefähigkeit, machen es der SPD schon aus taktischen Gründen fast unmöglich, eine Große Koalition zu wagen. Ein Spitzengenosse zur taz: „Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir den barmherzigen Samariter für diese müde Truppe spielen würden.“ Wer allerdings Stadtchef Henning Voscherau kennt, weiß, daß er sich alle Möglichkeiten offenhalten will und wird. Gleichwohl gilt für politische Beobachter der Koalo-Szene als ausgemacht: Rot-Schwarz rangiert in der SPD- Prioritätenliste an letzter Stelle, den vorletzten Platz belegt Rot- Gelb, noch hinter der Ampel.

Die rot-grüne Koalition, bei einer großen Zahl Hamburger Sozis und Grüner viele Jahre lang schon beinahe tabu, ist in den letzten beiden Jahren still, aber nachhaltig zum wahrscheinlichsten Modell avanciert. Schon vor dem Neuwahl-Urteil war sich eine wachsende Zahl von Grünen und SozialdemokratInnen einig, daß 1995 wohl eine Koalition anstünde. Ob atmosphärisch im Rathaus, auf Diskussionspodien oder im Vier-Augen-Gespräch — Rote und Grüne kamen sich deutlich näher.

Strategische Hinterzimmertreffen freilich, rot-grüne Seilschaften oder gar übergreifende inhaltlich- politische Projekte gab es bislang nicht. Im Gegensatz zu anderen deutschen Metropolen fehlt in Hamburg trotz zahlreicher SympathisantInnen jenes rot-grüne Milieu, das für Vorbereitung und Bestand dieser Politkonstellation wichtig wäre. Vor einem rot-grünen Bündnis türmen sich in Hamburg noch weitere Schwierigkeiten auf: Die GAL ist zersplittert in eine ganze Reihe unterschiedlichster Lager — es gibt derzeit keine gemeinsame strategische oder gar solidarische Linie. Einzelne betreiben klammheimlich schon Pöstchenjagd, im Parteifußvolk gärt es. Der Mangel an vorzeigbaren, stadtbekannten und für hohe politische Ämter und harte Verhandlungen mit der SPD geeigneten Persönlichkeiten ist ein weiteres schweres Handicap. Einige wenige Köpfe in der GAL sehen dieses Problem zwar, wissen aber nicht, wie sie es jetzt schnell lösen könnten.

Das größte Hindernis für eine erfolgreiche neue Regierung ist fraglos die SPD: Die große alte Hamburger Regierungspartei ist auf ein Teilen der Macht weder inhaltlich, seelisch oder mental vorbereitet. Auch jetzt drehen sich wieder (fast) alle Diskussionen um den sozialdemokratischen Bauchnabel. Noch immer betrachten SPDler andere Parteien als Störenfriede in einem Revier, das Gott und August Bebel ihnen zur alleinigen Verfügung gestellt haben. Das letzte rot- gelbe Bündnis (1987-1991) hat das mit Koalitionskrach und häßlichsten Zänkereien sichtbar gemacht.

Skeptiker in der SPD träumen deshalb von einer schwarz-grün- gelben Koalition, weil nur eine zeitweilige völlige Abstinenz von der Macht den verkrusteten Allmachtswahn des sozialdemokratischen Filzes kurieren könnte. Allerdings, so räumen sie fast bedauernd ein: „Mit dieser CDU, dieser FDP und dieser GAL ist eigentlich auch kein Staat zu machen.“ Florian Marten