Keine Gewissensbisse dank ABS und Kat

■ Das Spandauer BMW-Werk profitiert vom Motorradboom / 180 Maschinen täglich

Ein schlechter Tag für Besuche im Spandauer BMW-Motorradwerk. „Bei uns brennt es an allen Ecken“, sagt Sprecher Christian von Stern. „Diese Woche und die nächste sind die schlimmsten.“ Zwar wird kurz vor der sommerlichen Saison immer besonders heftig produziert, und die MitarbeiterInnen arbeiten im ersten Halbjahr täglich eine halbe Stunde mehr, die sie in der zweiten Hälfte wieder einsparen. Doch in diesem Jahr ist der Streß noch größer als sonst: BMW wird so viele Maschinen herstellen wie nie zuvor.

Die Motorradindustrie boomt. Nach einem Rückgang in den 80er Jahren spüren die Produzenten den Wind wieder von hinten. 1991 wurden rund 20 Prozent Motorräder mehr verkauft als im Vorjahr, 1992 wuchs die Branche noch einmal um 15 Prozent. Grund dafür ist nicht nur, daß man dem Verkehrschaos in den Städten besser auf zwei als auf vier Rädern entkommt. Wesentlich ist für Christian von Stern auch, daß der Freizeitspaß zunehmend sozial akzeptiert wird. Neue Technologien wie Anti-Blockier-System (ABS) oder Katalysator sorgen dafür, daß das Motorrad in den Bereichen Sicherheit und Umweltfreundlichkeit Punkte gutmachen konnte.

Der schräge Rocker out, der verantwortungsbewußte Fahrer in? Kein Wunder, daß gerade BMW mit seinem traditionellen Image hofft, von dem Wachstum profitieren zu können. Schließlich ist der durchschnittliche Käufer immerhin acht Jahre älter als der Pressesprecher, und der ist 29. Auch wenn von Stern das Bild von der behäbigen BMW-Maschine für falsch hält, dürften gerade die damit verbundenen Qualitäten im Trend liegen. Rund 36.000 Motorräder fertigten und verkauften die Bayern, die die Zweiräder ausschließlich in Spandau produzieren lassen (Werbeslogan: „Alle BMW-Motorräder haben Berliner Luft in den Reifen“), im vergangenen Jahr. Noch einmal tausend mehr sind für 1993 vorgesehen.

Für die 1.100 Beschäftigten im einzigen Motorradwerk Berlins bedeutet das reichlich Arbeit. Vor allem für diejenigen, die es mit den Einzelteilen erst zu tun bekommen, nachdem sie von den großen Haken genommen wurden, an denen sie durch die Hallen baumelten, und zum kompletten Motorrad geworden sind. Ein solcher Engpaß ist die Endkontrolle, bei der Mitarbeiter den ganzen Tag nichts anderes tun, als Motorrad zu fahren. 180 Maschinen müssen sie zur Zeit täglich auf dem Rollenprüfstand auf Laufeigenschaften und Funktionstüchtigkeit der technischen Elemente testen (und dürfen abends beim Heimweg auf ihrem eigenen Motorrad nicht vergessen, behutsamer zurückzuschalten). Mit einer Computersimulation testen sie außerdem Motorräder, die mit ABS ausgerüstet sind: Alle Zustände, auf die die Technik reagieren muß, werden durchgespielt; eine Vollbremsung ist der letzte Test.

Am Ende der Produktion steht die Verpackung: alle Motorräder werden einzeln in Verschläge mit Klarsichtfolie gesteckt und wirken so im Lager wie riesige Vergrößerungen von Miniaturmodellen, die sich in Pappe mit durchsichtigem Kunststoff in Spielzeugläden stapeln. Nur die Maschinen, die für Berliner Händler bestimmt sind, bleiben unverpackt. Statistisch gesehen sind von den 180 Maschinen täglich nur 60 für deutsche Käufer bestimmt, der Rest wird exportiert. 80 Motorräder sind vom neuen Typ R 1100 RS, der mit einem völlig neuen Boxermotor aufwartet. 90 PS leistet das Modell – und soll trotzdem nach den Worten von Christian von Stern dem Trend zu immer hochgezüchteteren Maschinen nicht folgen. Mit ABS, Dreiwege-Kat und völlig überarbeitetem Fahrwerk entspreche es dem wachsenden Bedürfnis nach Sicherheit und soll dem Unternehmen BMW auch in Zukunft seinen Marktanteil sichern.

Doch von Stern ist skeptisch, ob Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren auch in Zukunft erzielt werden können. „Der Markt wird enger werden“, meint er, man könne sich nicht von Rekord zu Rekord hangeln. Wie gut, daß es eine Käufergruppe gibt, die von Mode-Schwankungen relativ unbeeinträchtigt bleibt. Auf jeder zehnten BMW wird einmal irgendwo auf der Welt ein Polizist Patrouille fahren oder Politiker eskortieren. Stefan Niggemeier