Volkswirtschaftler ignorieren Plünderung

■ World Ressources Institute: Tod des Regenwaldes schwächt den Süden

Berlin (taz) – Große Wohlfahrtsgewinne durch die Abholzung der Regenwälder – das verspricht die gängige volkswirtschaftliche Gesamtrechnung den Ländern des Südens. Sie verschweigt den Entscheidungsträgern in diesen Ländern allerdings, daß sie beim Verkauf von Rohstoffen sozusagen vom Eigenkapital leben. Zu diesem Ergebnis kommt der Wirtschaftswissenschaftler Robert Repetto vom Washingtoner World Ressources Institute in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Repetto vergleicht die heute gängigen volkswirtschaftlichen Bilanzen mit der Gewinn- und Verlustrechnung, die eine Firma ehrlicherweise erstellen müßte. Das Ergebnis ist verheerend: Costa Rica zum Beispiel hätte nach vorsichtigen Rechnungen von 1970 bis 1989 6,7 Milliarden Mark am Wert seiner Wälder, Böden und Fischbestände verloren – mehr als die Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres.

Repetto geht in der im Spektrum der Wissenschaften veröffentlichten Studie davon aus, daß die Wälder und der natürliche Reichtum eines Landes eine weitere Form des wirtschaftlichen Kapitals eines Landes darstellen. Wird also ein Baum abgeholzt und verkauft, bekommt das Land zwar das Geld, verliert aber den Wert des Baumes. Der Baum könnte zwei Jahre später ja wesentlich mehr Geld wert sein; dann aber gibt es ihn nicht mehr.

Seit Ende der sechziger Jahre hat das mittelamerikanische Land Costa Rica 28 Prozent seiner Wälder verloren. Größtenteils wurde der Wald für unproduktives Weideland abgebrannt. Die Konsequenz: eine Erosion von 2,2 Milliarden Tonnen Mutterboden macht dem Land zu schaffen und gefährdet jetzt auch noch die Fischbestände in den Küstengewässern.

Auf den Philippinen, die Repetto als weiteres Beispiel anführt, beliefen sich die jährlichen Verluste durch Entwaldung auf 3,3 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Erosion verschlechtere dort auch die Energieleistung der Staudämme, die sich mit Geröll füllen. Indonesien hat zwischen 1977 und 1984 rund 20 Prozent seiner vermarktbaren natürlichen Ressourcen verloren, so Repetto.

All diese Verluste tauchten in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder aber nicht auf. Repetto illustriert die Wirkung an einem Beispiel. „Wenn ein Bauer das Holz in seinen Wäldern schlägt und verkauft, um eine neue Scheune zu finanzieren, würde seine private Buchhaltung den Erwerb eines Aktivpostens – der Scheune – vermerken sowie den Verlust eines anderen, nämlich des Baumbestandes.“ Ganz anders in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Dort stiegen Einkommen und Investitionen mit dem Bau der Scheune und zusätzlich durch die Arbeit bei Holzeinschlag. „Nirgends aber wird der Verlust des wertvollen Baumbestandes verzeichnet.“ In Costa Rica seien allein 1989 Holzbestände im Wert von 650 Millionen Mark vernichtet worden – 112 Mark pro Bewohner des Entwicklungslandes und ein Drittel mehr als die gesamten Zinszahlungen auf seine Auslandsschulden.

Was steckt hinter dieser rechnerischen Ignoranz? Repetto führt den Realitätsverlust gegenüber dem wirtschaftlich bedeutenden Verlust ökologischer Ressourcen auf die Geschichte der Volkswirtschaft zurück. Die Grundlagen der modernen Volkswirtschaft seien im 19. Jahrhundert entstanden. Damals hätten Rohstoffe reichlich und billig zur Verfügung gestanden, die Wissenschaftler hätten sie einfach als freie Güter vernachlässigt. Maschinen und Anlagen würden seitdem als Kapital bewertet und bei Zerstörung oder Verschleiß abgeschrieben, natürliche Ressourcen nicht, selbst wenn ihr Verlust die Möglichkeit, etwas daraus herzustellen, zerstört. Noch in den letzten Jahren sei gerade den Ländern des Südens, die wirtschaftlich am meisten „auf ihre Naturvorkommen angewiesen sind, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung beigebracht“ worden, die ihren natürlichen Reichtum ignoriert. Hermann-Josef Tenhagen