■ Die FDP und ihr Libero-Populismus
: Disputieren mit Haider?

Eingeladen zu einem Karl-Hermann-Flach-Disput, finde ich mich wieder in einer Runde, die sich das Thema „Korruption, Politik und Recht“ mit dem bedrohlichen Untertitel: „Palermo in Deutschland?“ stellt. 1972, vor 20 Jahren, hat Karl-Hermann Flach mich gebeten, die „Freiburger Thesen“ bei Rowohlt zu veröffentlichen. Diese Thesen waren der Neuanfang des modernen Liberalismus in sozialer Verantwortung. Ohne Männer wie Karl-Hermann Flach, Walter Scheel, Wolfgang Mischnick und Werner Maihofer wäre jenes „Mehr-Demokratie-Wagnis“, von dem Männer wie Willy Brandt und Gustav Heinemann gesprochen hatten, nicht gewagt worden.

Das Bündnis der Liberalen und der Sozialdemokraten war gut für unser Land, gut für unsere Demokratie. Dieser demokratische Bund war in der Lage, das Gewaltmonopol des Staates gegen die Gefahr des Terrorismus – unter großer Anstrengung und großen Opfern – zu erhalten. Der liberale Sozialstaat und die soziale Demokratie haben die siebziger und den Beginn der achtziger Jahre geprägt. Die, die dabei waren, konnten stolz sein, Deutsche zu sein.

Die rechtskonservativen Kräfte, die in Deutschland zweimal gerade im nationalen Sinne total versagt haben, versuchen nun, gegen die liberale Reformpolitik Sturm zu laufen. Wie so oft bedienen sie sich des Mittels der Denunziation. ...Sie wären nicht aus bösem Willen, sondern als Ausdruck der in ihnen wirkenden Mischung von Vorurteil und Ignoranz in der Lage, das deutsche Volk zum dritten Mal ins Verderben zu führen.“ Das schrieb Flach vor 20 Jahren, es gilt heute genauso wie damals.

1992: Nacht um Nacht werden Menschen in ihren Unterkünften gewalttätig angegriffen, werden Frauen und Kinder terrorisiert, wird der Artikel1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, gebrochen, und wird mit Artikel13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, Schindluder getrieben. Seit Hoyerswerda gibt es eine Blutspur. Bisher sind zehn Menschen dem Terror von rechts zum Opfer gefallen. Wo zehn sterben mußten, Hunderte verletzt wurden, haben Tausende Angst vor der heimtückischen Gewalt Deutscher. Deutschland ist ein Land, das wieder Angst macht. Das Gewaltmonopol droht dem Staat aus den Händen zu gleiten, er ist schwächer gegen den extremistischen Terror als in den siebziger Jahren.

1992: Die Partei Karl-Hermann Flachs will das Andenken an diesen großen Liberalen aus Königsberg und Rostock dadurch ehren, daß sie zum Disput einen Politiker einlädt, der zum Sturm auf die klassischen Werte des verantwortungsethischen Liberalismus geblasen hat und als Führer der Neuen Rechten in Europa gefeiert wird, der in seinem Land versucht, mit Hilfe eines Volksentscheids Haß gegen Ausländer zu schüren, der den Brandstifter Schönhuber über den grünen Klee lobt.

1992: Teile der FDP meinen, das zentrale Thema der deutschen Politik sei die in einigen Städten bedenkliche Verfilzung der Parteiendemokratie. Ich frage: Ist das „Saubermann“-Thema ein „Biedermann“-Stoff, aus dem die Brandsätze heute formuliert und morgen gebastelt werden? – Wer demokratischen Patriotismus mit demagogischem Populismus bedroht, hätte nur dann leichtes Spiel, wenn die Demokraten nicht zusammenhielten und sich nicht wehrten.

Deutscher Herbst 1992: Ich verteidige mit Leidenschaft das Erbe des an Immanuel Kant geschulten Karl-Hermann Flach. Eines hat er nie getan, nicht als Journalist, nicht als Politiker: unter der falschen Flagge der populistischen Biedermännerei zu segeln. Nie hätte er zugelassen, daß die große Geschichte des politischen Liberalismus gestohlen und umgemalt wird für einen gefährlichen Nationalismus. Was den Kommunisten mit der sozialen Demokratie nie gelungen ist, darf den Nationalisten in Deutschland mit dem Liberalismus auch nicht gelingen: der geistige Diebstahl und die Ideenfälschung. Flach hat 1972 gewarnt: „Die eigentliche revolutionäre Gefahr in Westeuropa sind daher die Konservativen, die Gestrigen, die Reformunfähigen. Sie unterliegen der Versuchung, die Probleme der Gesellschaft notfalls durch autoritären Machteinsatz zu überspielen, wenn sie anders nicht weiterkommen.“

Der zentrale Gedanke der modernen Demokratie heißt: Die Mehrheit entscheidet sich immer wieder dafür, daß sie Minderheiten schützt – die Minderheiten des Einzelnen, die Minderheit der Wenigen. Denn wir wissen, daß wir alle (auch in Mehrheitsparteien) mit unseren Überzeugungen, mit unseren Lebensstilen verschiedenen Minderheiten angehören. Wer an der modernen Tele-Klasse einiger südamerikanischer Politiker geschult ist – reich, schön und skrupellos im Umgang mit der eigenen Bewegung – ist kein Neonazi, auch kein Tele-Nazi. Für mich ist bereits bedrohlich die Rückbildung des sozialen Liberalismus in den intoleranten Libero-Populismus, für mich ist bereits bedrohlich die antisemitische Art, mit welcher der österreichische Präsidentschaftskandidat Robert Jungk übel attackiert wurde, für mich ist bereits bedrohlich die Verherrlichung der NS-Beschäftigungspolitik, um mißtrauisch zu werden bei der Wahl der Gesprächspartner, die über Fehlentwicklungen der Parteiendemokratie diskutieren.

Ja, die Demokratie, an deren Arbeit nach unserer Verfassung die Parteien mitwirken, hat große Probleme. Die Zahl der aufgedeckten Korruptionsfälle nimmt zu, die Praxis mancher Parteispenden hat dazu geführt, daß der Vorsitzende der FDP vorbestraft ist. Ja, wir haben eine schleichende Betrugsmentalität auch in weiten Kreisen der Bürger. Ja, wir haben Probleme in der Klasse der öffentlich alimentierten Beamten- und Professorenschaft. Ja, wir haben das Problem der Diätenfestsetzung in den Parlamenten. Ja, wir haben das Phänomen der Vorteilsnahme, wie es in dem Buch von Scheuch heißt. Aber daraus die Demokratie zum Sauhaufen zu zerreden, wie in Weimar, und sich selbst als Saubermann im Augias-Stall zu brüsten, wenn wir mitten in Problemen stehen, die das Engagement aller erfordern, oder gar Deutschland mit der Mafiastadt Palermo zu vergleichen – das wäre verantwortungslos. Ich bin gekommen, um dieses hier zu sagen. Wir können miteinander reden. Ich hoffe, daß von dieser Veranstaltung ein Signal an die Demokraten in Deutschland geht – an die Freien, an die Christlichen und an die Sozialen: Wacht endlich auf, schützt die Demokratie, schützt das Gewaltmonopol des Staates, schützt die Minderheiten, und wehrt Euch gegen den neuen telegenen Populismus, vor dem Karl-Hermann Flach gewarnt hatte: „Sie geben rationale Phrasen von sich... ohne zu begreifen, daß wahres patriotisches Handeln darin besteht,... außen endlich als Staat des Friedens Anerkennung zu finden, nach innen hin Staat und Gesellschaft durch den Weg liberaler Reformen krisensicher zu machen und den Freiheitsgehalt unseres Gemeinwesens, die Werte der Humanität, der Liberalität, der Toleranz und des Rechts auf persönliche Entfaltung in einer veränderten Welt zu erhalten und auszubauen.“ Freimut Duve

Der Autor ist MdB-SPD. Die Begegnung der dritten Art fand am 19.10. in Bad Homburg statt – Bericht auf Seite 5.