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: Nightmare from Baden

■ Vom „Alk-Echo“ bis zum „Wellenbrecher“ — subversive Nachrichten aus der Fanszene

Fan-Treff heißt die berüchtigte Postille, die vom unbedeutenden Annoncenblatt für den Fan-Artikel-Vertrieb ihres Herausgebers zum Zentralorgan der deutschen Hooligan-Szene avanciert ist. Quer durch die Republik werden zum Monatsbeginn zehntausend Exemplare von cirka 50 Bahnhofsbuchhandlungen verkauft. Tendenz steigend. Als mögliche Alternative zum Fantreff, der die Schreckenstaten der Hooligans schwarzrotgold verharmlost, ist ein neues Fan- Magazin erschienen: 15 Uhr 30 — Jetzt geht's los, herausgegeben vom „Deutschen Fanzeitungsverbung“ (dfzv), einer lockeren Assoziation von über sechzig lokalen „Fanzines“.

Das „Fanzine“ hat seine Vorbilder in England, ist eine Wortverkürzung, gebildet aus „Fan“ und „Magazine“. Protz, Rülps, Crash, Würg und hundert weitere Fanzeitungen sind begehrte Sammelobjekte für jugendliche Fans. Aber auch für die Ordnungskräfte, die sich Aufklärung über die innere Struktur der Szene versprechen. Die grellen DINA-5 Heftchen erscheinen je nach Lust und Laune ihrer Herausgeber ein bis dreimal pro Saison zum Selbstkostenpreis von zwei bis drei Mark. Dreißig bis sechzig Seiten sind engbetippt und werden mit Fotos, Comix und Aufklebern illustriert. Die Auflagen liegen zwischen 200 und 600 Exemplaren.

Das macht für die gesamte Fanszene über hunderttausend Heftchen im Jahr — Stimmungsbarometer und ironische Selbstdarstellungen, die am ehesten noch mit Schülerzeitungen vergleichbar sind, wenn sie auch in einer rüderen und reduzierten Sprache aus einer härteren Szene berichten. Titel wie Alk-Echo und Nightmare from Baden verweisen auf ihren hauptsächlichen Lesestoff und auf die Abgründe der Fußballeidenschaft. Über den Spielverlauf wird nur das Nötigste mitgeteilt. Im Zentrum der Berichterstattung steht das Drumherum, die Freuden und Leiden der Fußballtouristen, die die Unterstützung ihrer Mannschaft mit dem eigenen Erlebnishunger und dem Austausch vom neusten Klatsch aus der Fankurve verbinden: ein „Who is Who“ der Schwadroneure von der Bierstandszene.

Angetrieben von einem strapaziösen Rekord- und Vollständigkeitswahn und einer immensen Kilometerfresser-Sucht wird dank Interrail-Ticket nach der Urlaubszeit von allen Staub- und Rasenplätzen Europas berichtet. „Anjo aus Frankfurt grüßt den Rest der Welt und alle, die ihn kennen.“ Unerbittlich wird die eigene Mannschaft bei ihren Vorbereitungsspielen über die Dörfer bis ins abgelegenste Trainingslager verfolgt. In der Hoffnung, wenigstens hier einmal persönlichen Kontakt mit den angehimmelten Fußballgrößen zu bekommen.

Akribisch melden Captain's Dinner, Badger's News und Effi's Kulturmagazin — die die Spitznamen ihrer Herausgeber tragen —, wer mit wem und gegen wen. Sämtliche Kreuz- und Querverbindungen der Szene werden notiert und billige Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten empfohlen — häufig bei gleichgesinnten Fußballfreunden, die man unterwegs kennengelernt hat.

Mit dem Aufschwung der Hooligan-Szene und ihrer Hauspostille Fantreff hat sich in den lokalen Fanzines die Tendenz zur Frontberichterstattung verstärkt. Auch wenn die Schlägereien der Hooligans moralisch verurteilt oder ironisch distanziert geschildert werden. „Dieses Sammelsurium von kuriosen Ereignissen soll aber auf keinen Fall zur Gewalt aufrufen — womöglich gegen mich!“ versichert Der Tackenberger und preist sein Provinz-Fanzine als „eine Aneinanderreihung von Mißverständnissen und Tippfehlern“, als „Ausdrucksmittel des losen fußballverrückten Zusammenschlusses Oberhausen Nord-Süd, Sektion Tackenberg-Terror“.

Mit Ausnahme des auch mit seiner Auflage von 3.600 Exemplaren alle anderen Fanzines überragenden fast professionellen Millerntor-Roar der St.Pauli-Fans wird die eigene Vereinsführung nur selten kritisch kommentiert. Dafür haben die „verkalkten Bosse vom DFB“ in den Fanzeitungen keine gute Presse. Regelmäßig werden Polizeiübergriffe beschrieben.

Da die Fanzines mit einigen Ausnahmen nur an Freunde und Bekannte abgegeben werden, muß auf ein verdienstvolles Werk hingewiesen werden, das im „Strohhalm-Selbstverlag“ erschienen ist und einen unverstellten Einblick in die unentdeckte Subkultur dieser subversiven Gegenöffentlichkeit vermittelt: „Das Fanzine-Buch“ ist ein gut ausgewählter faksimilierter Querschnitt durch die Produktion von deutschen Fanzeitungen. Dieter Bott

„Das Fanzine-Buch“, Herausgeber Rainer Raap, 5 Köln 1, Karolinger Ring 36. 24DM plus 3DM Versandkosten. 250 Seiten. ISBN-Nummer 3-98018774-4-6.