Welcome im Club der lebendigen Dichter

■ Zu Adolf Endler / „Man kann vernichtet werden, aber man darf nicht aufgeben“

Peter Wawerzinek

Der Autor als Nichtgefragter, als literarische Unperson, schafft auf seiner Hatz durchs kulturpolitische Querleben leuchtspuredles Aufglimmen, eine Art Wutspur im Leerlabyrinth. Adolf Endler ist ein Zwitterwesen der DDR -Literatur. Zum einen steht er für höchsten Reichtum des Wortschatzes und Lesegenuß, zum anderen blieb er, was die von ihm angekündigten dickeren Romane anbelangt, unter seinen Vorhaben, sein eignes Antiprodukt. Endler hat die vielen Jahre im Boxring LITERATUR der DDR (Der Autor kam freiwillig Anfang der Fünfziger in DIESES BESSERE LAND) hart ausgeteilt, mit Beharrlichkeit immer wieder die empfindlichsten Stellen der Kulturpolitik angepeilt, seine Treffer untergebracht und systematisch Schläge (auch Nackenschläge!) einstecken müssen bis hin zum Ausschluß aus dem Schriftstellerverband im Jahre 1979. Seine wortkargen fights jedoch fanden oft ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit auf den Fluren der Kulturbehörden oder ganz im Verborgenen statt. Seine schriftstellerische Bedeutung ist nicht im geringsten gewürdigt worden, seine grandiosen Siege („Man kann vernichtet werden, aber man darf nicht aufgeben.“ aus: VORBILDLICH SCHLEIMLÖSEND) sind immer nur einigen Eingeweihten, den Insidern, den Fans gegenwärtig gewesen. So erschienen seine letzten drei Bücher sämtlich bei Rotbuch in Westberlin.

Über den Schreiber Endler zu reden, heißt über seine literaturkritischen und gesellschaftsbeäugenden Rundgänge sprechen, fern aller Heymlichkeit & Wolfheinkantelein. Und was er sprachwütend und formulierungstoll angegriffen hat (Ich kann, Mademoiselle, für das eigentlich nicht so richtig dafür), womit er sich, weil die Medien, der Journalismus hierzulande nicht recht funktionierten, zuviel unter den Teppich gekarrt und dem Volke verschwiegen wurde, notgedrungener Maßen beschäftigen mußte, womit sich ein hellwacher Autor in diesem Lande herumzuschlagen hatte, damit von den Kulturverbrechern dingfest gemacht werden kann, was richtigzustellen, anzulasten und laut benannt werden muß, kann man nicht nur an seinen Büchern ablesen, sondern ist nahezu in allen anderen Veröffentlichungen oder Funksendungen Hauptgegenstand seines Schaffens geworden.

Endler ist unter den Stellvertreterliteraten sicherlich die Nummer Eins geworden. Immer ging es und wird es ihm weiterhin darum gehen, als Kulturretter gegen die Verhinderer und Hintergrundmauschler aufzutreten, mit dem nackten Finger (Mit der zorngeballten Faust!) auf die dummdreiste Brut der apparatisierten

Kunst&Kulturbanausen, die Ignoraten der tonangebenden Regierungsebenen zu zeigen, an ihren furzmolligen Verschaukelungsstühlchen zu rütteln bis sie kippen. Dieses gelang dem Schreiber (Für einige ist er stets der Geheimtip unserer DDR-Literatur) mittels zügelloser Fantasie und enormer Genauigkeit der Wortwahl, -schöpfung und -anwendung. Die beabsichtigte Herabwürdigung als Grundtenor eines gesamten Schaffensprozesses verlangt den sturen, unbedingt Am-Thema-Bleibetypen, der den Stoff einer Zitrone gleich ausquetscht bis zum allersauersten letzten Tropfen Wahrheit (was immer man darunter auch verstehen mag).

Endlers Texte sind Angaben zur Person&Hausnummer, seine Steckbriefe zeigen das wirkliche Gesicht der auf seiner Verächtlichungsliste stehenden Personen. Wer sich den Hohn dieses Autoren zuzog, kam ungeschoren nicht davon. Preißler, Neutsch, Steineckert und Eva Strittmatter, Thürck, Bastian und viele viele andere Vertreter einer Falschschreibergemeinschaft sind immer wieder durch Endler aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln angestrahlt worden, den realexistenten Kultur&Kunstbeschiß (Zitat Endler: bis ins Duftwasser hinein als Optimist!) aufzudecken und als Versuche der Leserverdummung hinzustellen. Wie einer wo und wann zu wem und mit wem in welchem Ton spricht, welche geheimen Aktionen mit welchen Reden und wörtlichen Absprachen über welche Hintermänner eingeleitet wurden und zur Durchführung gelangten, was wer wo auslöste&auslöschte, wer geopfert und zur Seite gedrängt wurde, wie VON OBEN gehackt, getreten und beseitigt wurde, das ist Endlers Hauptgericht. Sein Gedächtnis ist henkerteuflisch genau. Sein Spott ist gallegiftig. Sein Material (Aus meinem schier unerschöpflichen Seesack! A. E. Oder sollte man besser in diesem Falle vom SEHsack sprechen? P. W.) paart er mit Auszügen aller Medien, Werbetexte, Kommentaren und scheinbar nur so dahergeredeten Randbemerkungen irgendwelcher Personen, Gehörtgehörtes und Gerüchtemiefendes, Witze und Aufschriften aller Art von Verbotschildern an Kinderspielplätzen oder Kellertüren.

Alles wird von dem Dichter Endler abgeklopft, ausgedroschen bis zum klitzekleinsten Körnchen, dem unumstößlichen Fakt. Gegen die Kulturpfuscher (Ulktur-flutscher auf ihren förderungswürdigen Mitsurferbrettchen), gegen die Sprechkitscher, Nichtdenker&vor allem Nichtdichter und Kunsttäuscher, Realismusfälscher und sonstige Großklappen der Tütensuppenabspeisezentren DDRLeseland. Endler hat mehr Köpfe vorgewendet als alle Schnurken der letzten Wahlkrämpfe.

Seine Texte lesen sich wie Kommentare zu dem, was auf uns zukommen wird, was nicht gehindert werden kann, weil uns eingeredet wurde, es gäbe nirgends Verhinderung oder gröblichste Reglementierung. Wie gut es ist, immer&stets hinter allen Dingen und Vorhängen/Vorgängen - kurz: Überall und immer anklagebereit Unheil der schlimmsten Prägung zu vermuten, seinen Stift, die spitze Feder ständig gezückt zu haben und die Fäustlinge eben nicht abzustreifen, nur weil die Ringrichter allesamt auf Reformbrot mimen. Endler, der sich nicht umsonst den Beinamen „Pferdefuß“ gegeben hat, lebt und schreibt es uns vor. Immer in Kampfstimmung bleiben! Die trägen Hängesäcke im Übungsraum der Fitness -Zentren Kultur bleiben weiterhin an ihren Plätzen und so schleunigst kann eine Arena nicht zu gesellschaftlichen Peepshow-Halle ummodelliert werden. Pechfürdieganzebrut, daß es Autoren gibt, die sehr wohl genau hinsehen und wortwörtliches Mitschreiben gelernt haben, die von delikat über feinsinnig bis hin zu grob (Endler: grobianisch) eine ganz eigene Stilistik entwickelten und ihre Stimme gnadenlos scharfrichterisch immer dann erheben, wenn alle das Schweigen genießen.

Vollgestopft bis an die Schädeldecke mit schändlichen Begebenheiten und Infos aus den allergeheimsten Zugwinkeln, geübt in solch wunderschönen schreibmotivierenden Grundeigenschaften wie Geldknappheit, Anfeindungen, Haß auch und Wut, Hohnlachen und Mordlust, voller Qualen und Freuden, die das Leben hierzulande mit sich bringen, begeht Endler immer aufs Neue ungeheuerliche Straftaten und Raubzüge im Dschungel Leseparadies, wie zum Beispiel das schlichte Zerquetschen der Kunstblumen plumpester Machart aus dem Garten der massenlyrischen Jubelproduktion aus dem VEB Friede Freude Eierei. So gesehen, sind Endlers Bücher immer köstlich, kotzköstlich an dem Stand der Dinge geheftete Schnauzevoll-Bescheide. Dieses Land, dieser Faustschlag von Menschen löst seine sprechsensible Gereiztheit, drängt ihn, nötigt den Autor aus seiner blaufleckigen Ecke herauszukommen, ohne langes Warten auf den Gong mit zu allem entschlossenen Blick auf den, ach was, auf die Horde von Unter-die-Gürtellinie-Treter. Seine Texte sind Kampfansagen, sind Suchanzeigen gegen bekannt bis zum Erbrechen. Durch die Reibung an den wirklichen Verhältnissen erhalten sie den typischen Glanz der großen Gelackmeierei. Wenn es bei Endler heißt: NIEDER MIT DEM BERMUDADREIECK/ KEINER SOLL SPURLOS VERSCHWINDEN, so muß man dies als Hinweis lesen, daß der Autor zäh und gründlich auch in Zukunft den Dichtergarten beackern und

umgraben wird, aber alles wortgewaltige für die Paradiesvögel in ihm unternehmen muß, damit ein paar ungewöhnlich schrillschöne heisere Rufe uns daran erinnern, wie geräuschlos die schmerbäuchigen Hintergrundschweine, die in anderer Leute Leben wühlenden Ratten, zu Werke und Tilgung gehen.

Die Realität ist immer ein wenig grotesker als der allerätzendste Text zu ihr. Die allerundelikatesten Beschreibungen aus dem Sumpfbrachland oder den Künstlerschlachthäusern klingen mitunter heiter gegen die zerstörerisch stille Wirklichkeit. Unheilvolle Gewißheit darüber, was im Laufe der Jahre in dieser DDR alles an Wert auf die Müllkippe gewuchtet wurde, was zwischen Misswahl und Wahlbetrug und Mißwirtschaft an Mißtrauen und Mißmut gediehen ist, formt sehr leicht einen Riesenklumpen Horrorvorstellung darüber, was alles zu Tage kommt, wenn das erst einmal alles zur Sprache wird, wenn die Vorgänge, die Opfer, die Anordnungen und Top-secret-Weisungen ausplaudern. Und geradezu zukunftserschreckt heißt es bei Endler im Buch „Vorbildlich schleimlösend“: Ja, es ist wahr: Ein paar Sachen sollte man besser nie vergessen.“

Wünschen wir uns für dieses Literaturländle nicht nur den Zustand, daß Endler alles veröffentlicht hat, daß man zu ihm sagt: Welcome to the Club (Der immer noch lebenden Dichter!!), daß seine Texte (Zitat): wenigstens punktuell doch die Vorgeschichte einer Vorgeschichte einer Vorgeschichte ... und so weiter sind und uns die ganz große Hauptstory nie zustößt, nämlich die Gewißheit, daß alles ganz ganz anders war, zu schrecklich, um schöngefärbt zu sein.