Wenn einer keine Reise tut...

...sollte er ruhig mal im Rhododendronpark darüber meditieren, ob die unverschämt blühenden Bastarde und das reinrassige, aber ausgestorbene Flachlandwisent irgend etwas miteinander zu tun haben  ■  Von Bernhard Gleim

Das Wort „Bastard“ bedeutet eigentlich: der auf dem Sattel Gezeugte; andere Sprachforscher meinen, es hieße: der in der Scheune Gezeugte, von gotisch „bansts“. Aber wie auch immer

-das sind beides Orte, an denen der „normale“ Bürger kaum den ersten Schritt zur Familiengründung tut. Bastarde sind Kinder aus unkonventionellen Verbindungen, Mischprodukte eben.

Nun gibt es einen Ort in Bremen, an dem sich eine riesige Gesellschaft von Bastarden tummelt

und sich unverschämt blühend ihrer Gemischtrassigkeit erfreut: der Rhododendronpark.

An der Stelle des Rhododendronparks in Bremen-Horn lagen früher große Landgüter. Da verbrachten die reichen Bremer Kaufleute den Sommer. Wer heute durch den Rhododendronpark geht, kann noch Anzeichen der alten Landgutparks erkennen, etwa den langen Baumweg, und bei etwas Phantasie vermag man sich leicht vorzustellen, wie da am Ende des vorigen Jahrhunderts noch die Equipagen durch die Reihen der Laubbäume ge

fahren sind, und Mädchen mit hellen Sommerkleidern und Sonnenschirmen saßen darin, vielleicht auf dem Weg zu einem Gartenfest, und sprachen über die Gesellschaft und wer mit wem und überhaupt über die besten Partien, die nicht nur das Herz, sondern auch die Geldbörse erfreuen sollten.

Sicher, auch in dieser Gesellschaft gab es Mesalliancen und folglich Bastarde, aber über die sprach man nur hinter vorgehaltenem Fächer und mit leisem Schauder. Romantisch mochte das ja schon sein, wenn ein blonder Hanseat sich an eine Tochter aus Übersee verloren hatte, aber unglücklich war es doch auch. Jedenfalls für's Erbe.

Das ist bei den Rhododendren ganz anders. Bei denen ist die einzig glückliche Verbindung eine Mesalliance, eine Bastardisierung, wie die Botaniker sagen. Die unerschöpfliche Phantasie, die diese Pflanze in ihren Erbanlagen hat, entfaltet sich am besten, wenn sie sich nicht mir ihresgleichen vermählt.

Die schönsten Rhododendren sind im Himalaja zu Hause; dort wachsen sie an den Berghängen und können manchmal richtige Wälder, bis zu dreißig Meter hoch, bilden. In Europa gab es

zwar auch von alters her Rhododendren, aber so schön wie die himalajanischen blühten sie nicht.

Da kam dem Earl of Canarvon 1825 die Idee, das herrlich blühende, aber für unsere Breiten zu frostempfindliche Rhododendrum arboreum aus dem Himalaja mit einer winterstarken Sorte zu kreuzen. Die Verbindung von Blütenschönheit und Frosthärte war erfolgreich, die Familie der Rhododendren konnte sich über ganz Nordeuropa ausbreiten.

Die Rhododendren lieben die schweren, sauren Böden mit humusreichem Untergrund - und dazu das Regenwetter! Im Bremer Rhododendronpark, unter dem lichten Schatten von Eichen und Kiefern, wachsen die Rhododendren und Azaleen besonders gut. Da kann man „Genter Hybriden“ sehen, „Pink Delight“ und „Golden Sunset“, die „Ponticum, die „Wilamsicum“, die dunkelroten Blüten der „Balzac“ - und wenn ein Kenner einer Azalee mit exzentrischer Blütenfarbe und einem intensiven Orange-Fleck in der Mitte begegnet, murmelt er nur: „Typisch Pompadour“.

Es wäre unfair, vom Rhododendronpark und seinen vielen wunderbaren Pflanzen zu reden,

ohne eines Tieres zu gedenken, das wahrscheinlich das traurigste Viech in ganz Bremen ist und am Eingang des Parkes steht - ein massiges Tier mit dem gewaltigen Vorderkörper, dem abfallenden Rücken und der gar nicht mal so majestätischen Endquaste. Das ist ein Flachlandwisent, und das Wisent hat früher in großen Herden in unserer Gegend gewohnt.

Dann aber kam der Mensch, jagte das Wisent, holzte die Wälder ab. Und wenn ich oben des Earl of Canarvon gedacht habe, des Schöpfers vieler neuer Rhododendren, dann muß ich nun leider auch den Förster Bartholomeus Spakowicz erwähnen. Der kann die traurige Berühmtheit für sich in Anspruch nehmen, das letzte, freie europäische Flachlandwisent am 9. Februar 1921 in der Bialowiezaer Heide niedergestreckt zu haben.

So steht das Wisent also im Bremer Rhododendronpark und stiert auf die zartlila Azaleen, die seinen Sockel umwachsen. Nichts genützt hat ihm seine reine Rasse, in Freiheit konnte das Wisent nicht überleben. Die Bastarde um ihn herum aber blühen und gedeihen wie nichts Rechtes. Da kann man schon depressiv werden!