Mit vier Kiezen auf dem Topf

KENNEN SIE BERLIN? (TEIL 3) Trotz Clubsterben: Solange der Rosenthaler Platz lebt, ist Mitte nicht verloren

■ Alteingesessene und Altzugezogene werden abwinken – aber auch ihnen bietet der neue Berlin-Reiseführer des Trescher Verlags neue Einsichten: 15 taz-Autoren erzählen über den Band verteilt Geschichten von Orten, die auf eine besondere Weise das Wesen der Metropole verkörpern. Wir präsentieren eine Auswahl.

■ S. Klimann, R. Knoller, C. Nowak: „Berlin“. Trescher 2011, 471 S., 400 Fotos, 17 Detailkarten, 16,95 Euro

■ Erhältlich ist der Reiseführer auch im taz-Shop: unter shop.taz.de oder – ganz real – in der Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

Der Rosenthaler Platz ist das Herz von Mitte. Es gibt sogar Leute, die sagen, er sei das Zentrum des bekannten Universums. Man kann es aber auch ganz prosaisch formulieren: Ein Freund behauptet, der Rosenthaler Platz sei das Klo von Mitte. Hier stoßen vier Mitte-Kieze zusammen, sagt er, um Rücken an Rücken auf dem Topf zu sitzen. Richtung Schönhauser wende sich der Fashion-Kiez, Richtung Auguststraße der Kunst-Kiez, Richtung Weinbergsweg der Café-Kiez und Richtung Ackerstraße der Bio-Kiez.

Richtig ist daran einiges: Am Rosenthaler Platz tobt das wahre Leben, weil er ein Knotenpunkt ist. Er ist ein wirklich urbaner Ort, weder chic noch heimelig, weder besonders herausragend noch besonders langweilig. (Auch wenn der Guerilla-Store von „Comme des Garçons“ in der Brunnenstraße anderes behauptet.) Mitte-Boys, Twentysomethings, prekäre Kreative und ein paar aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene Hools treffen auf Studenten, Eigentumswohnungsbesitzer, Yuppies mit Jeeps und Hipster-Touristen. Es gibt eindeutig zu wenige Omas hier.

Die Omas sind verschwunden, als die wilden Jahre des Rosenthaler Platzes vorbei waren. Als der Imbiss International an der Nordwest-Ecke zumachte, endete hier die Nachwendeära. Quasi mitten auf der Kreuzung, an der Tramhaltestelle, führte einmal eine Treppe in ein altes Pissoir hinunter. In den 1990ern wurde es einige Sommer lang zum Miniclub namens Sexiland. Genau wie von den übrigen Clubs rund um den Platz, von Glowing Pickle, Boudoir, Rossi Records, vom I. M. Eimer und der Hohen Tatra ist vom Sexiland heute nichts mehr zu finden.

Damals residierte noch ein Burger King direkt am Platz. Dessen Videojukebox hat Anton Waldt in einer seiner Kolumnen über den Raver Tom, die 2011 gesammelt unter dem Titel „Auf die Zwölf“ als Buch erschienen sind, ein Denkmal gesetzt. Heute befindet sich dort das St. Oberholz, ein gemütliches Café mit WLAN, wo morgens wie abends junge Leute und Berufsjugendliche Kaffee und Bier konsumieren. Rafael Horzons Möbelladen ist gleich um die Ecke.

Heute prägen nicht mehr Besetzer, Clubszene und andere Mitte-Indianer den Platz, sondern Galerien und Hostels. Zwar wurde die Brunnenstraße 183 geräumt, doch das Hausprojekt Brunnenstraße 6/7 und der Schokoladen in der Ackerstraße 169 trotzen weiter allen Kommerzialisierungstendenzen. Nostalgisch gibt sich die neue Bar an der Ecke gegenüber dem Oberholz, die in den vormaligen Räumen einer Buchhandlung residiert. Sie tut so, als schreibe man noch das Jahr 1992, als man aus praktischen Gründen Bars mit Sperrmüll-Möbeln einrichtete. Trotzdem: Wenn die Chichifizierung der Gegend noch eine Weile aufgehalten werden kann, dann verdanken wir das vor allem den jungen Touristen, die hier ostentativ herumlungern.

Mitte-Boys und prekäre Kreative treffen auf Yuppies mit Jeeps und Hipster-Touristen

Ganz in der Nähe, Brunnenstraße 9, ist eines der wenigen nennenswerten architektonischen Projekte zu bewundern, das im Berlin der letzten Jahre entstanden ist. Der Architekt Arno Brandlhuber zog auf dem Fundament einer Bauruine aus den 1990ern ein Haus aus Beton und billigen Materialien hoch. Es sorgte nicht nur in der Stadt für Aufruhr, weil es der für Berlin so typischen Zwischennutzung und ihrer Ästhetik des Unfertigen ein Denkmal gesetzt hat.

Gleich nebenan befindet sich die Kim Bar, die in den nuller Jahren die Fahne der szeneübergreifenden Offenheit hochgehalten hat. Solange es Orte wie diesen gibt, solange der Rosenthaler Platz pulsiert und der weltläufige Geist von einst hier weiter sein Zuhause hat, ist Mitte nicht verloren. ULRICH GUTMAIR